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An David Friedländer

Der gefällig übersandte Stier ist glücklich angekommen, und ich finde mich dafür sehr verpflichtet. Indem ich nun dafür meinen besten Dank abstatte, so vermelde ich hiermit meine Gedanken über dieses Kunstwerk.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts mag einem geschickten Erzgießer das Fragment eines antiken Stiers in die Hände gekommen seyn, und zwar die unversehrte vordere Seite desselben; welches um so eher[63] möglich war, als dergleichen Figuren in zwey Theilen gegossen, und in der Mitte zusammengelöthet waren. Der Künstler mochte Werth und Würde dieses Bruchstücks einsehen; er formte es daher und restaurirte den hintern Theil nach seiner Art und Kunst. Über dieses erneute Modell machte er alsdann die nöthige Form, goß das Ganze, und überarbeitete es. Hieraus entsteht nun das Zwiespältige bey dem Anblick dieses Kunstgeschöpfs. Der vordere Theil hat das Imposante, Geschmack- und Sinnvolle des Alterthums; der hintere Theil gewisse Tugenden der neueren Zeit z.B. etwas Natürliches uns Ausgeführtes in den Theilen; aber der eigentliche Sinn des Alterthums ist nicht gefaßt, weder in Stellung noch Bewegung der Glieder, und so entsteht ein zweideutiges Werk, das uns alsbald erst recht interissirt, wenn man solches, wie von mir geschehen, in zwei Theile absondert. Indessen würde ich dieses nicht so bestimmt behaupten können, wenn ich nicht schon einen Stier gleicher Größe, welcher wirklich antik ist, besäße: wodurch denn die Vergleichung möglich wird. Auch eben deshalb ist mir dieses neue Exemplar so werth, weil es ja bey dergleichen Dingen hauptsächlich auf Einsicht und Urtheil, auf Kenntniß der Kunstepochen und Unterscheidung der Zeiten ankommt.

Ich habe auch deshalb sogleich meine besten Dubletten zusammengepackt und übersende solche mit Gegenwärtigen wohl verwahrt, so daß ich hoffen[64] kann, das Kästchen werde glücklich ankommen. Ich füge kein Verzeichniß hinzu, da Ihr Herr Sohn als Besitzer einer so ansehnlichen Sammlung, als Kenner, dem noch überdieß alle Hülfsmittel zu Gebote stehen, die übersendeten Stücke leicht beurtheilen und einrangiren wird. Eben so wenig bedarf es, von dem Werthe dieser Dinge etwas hinzusetzen. Ich wünsche nur, daß die Sendung wo nicht im Ganzen, doch im Einzelnen angenehm seyn möge. Von Rom erhalte ich manchmal einen Beytrag zu meinem Kunstbesitz. Findet sich etwas Doppeltes darunter, so werde ich es anzuzeigen nicht ermangeln.

Das vorjährige Programm der A. L. Z. ist von unserm großen Kenner, dem Herrn Hofrath Meyer geschrieben. Die Fortsetzung sollte dieses Jahr erfolgen; sie ist aber bis jetzt noch nicht abgedruckt. Indessen lege ich einen Probedruck der Platte bey, welche die Fortsetzung begleiten sollte. Ich besitze die darauf abgebildeten sämmtlichen Medaillen und rechne sie unter meine Kleinode. Darf ich bitten mir mit wenigen Worten die glückliche Ankunft des Kästchens zu vermelden, wobey ich zugleich dessen gute Aufnahme zu vernehmen wünsche, und mir mit einer gelegentlichen Fortsetzung des einmal angeknüpften Verhältnisses schmeichle. Der ich recht wohl zu leben wünsche, und mich zu geneigtem Andenken empfehle.

Weimar d. 18. März 1811.

Goethe. [65]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An David Friedländer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8265-F