21/5989.
An Charlotte von Stein
So muß ich mich denn doch, verehrte Freundinn, entschließen schriftlich von Ihnen Abschied zu nehmen. Meine Arbeiten haben sich diese Paar Monate durchgezogen und mich verhindert Weimar wieder zu besuchen; jetzt am Ende ist mir's wünschenswerth ohne neues Anknüpfen und losreißen gleich aus meinem hiesigen Zustande in jenen so ersehnten versetzt zu werden. Ich habe diese Zeit her zwar ohne Schmerzen gelebt und habe also nach Epikurs Lehre mich über nichts zu beklagen, doch bleibt ein beständiges Abwiegen unsres physischen und moralischen Betragens immer eine lästige Sache. Das Zutrauen zu den heißen Quellen und die Hoffnung in unangenehmen Fällen unmittelbare Hülfe von der Natur zu erhalten verschönert mir den hier sehr schönen Frühling.
Die zwey Bände der Farbenlehre mit ihren Tafeln[289] werden nunmehr nach Leipzig wandern. Vielleicht interessirt Sie dabey am meisten ein Capitel Confession, wie ich zu diesen Studien gekommen. Es reut mich nicht ihnen so viel Zeit aufgeopfert zu haben. Ich bin dadurch zu einer Cultur gelangt, die ich mir von einer andern Seite her schwerlich verschafft hätte. Auch wird noch manches andre hervorgerufen, das mir in der Folge erfreulich und andern wohl nützlich seyn kann.
Empfehlen Sie mich angelegentlichst unsrer Durchlauchtigsten Herzoginn, sie wird verzeihen wenn ein gebundnes Exemplar erst später überantwortet wird, vor meiner Abreise konnte es nicht zu Stande kommen. Erhalten Sie mir bey unsern Durchl. Herrschaften ein gnädiges Andencken, und legen mich Ihro Hoheit zu Füßen.
Unserer geliebten Prinzess die besten Wünsche! Ich besuche sie oft auf ihrem Eckzimmer, wo ich sie zuletzt noch so freundlich sah, leider kann meine Einbildungskraft Ihr bald nicht mehr folgen. Sie erlaube mir daß ich Ihr Erinnerungen aus den wundersamen Gegenden nachsende wohin ich abermals ziehe.
Diesen Sommer, oder vielmehr gleich wenn ich meine Wanderschaft antrete, werde ich mich mit Wilhelms Wanderjahren beschäftigen. Vermuthlich wird er unterwegs einigen schönen Kindern begegnen, die ich hie und da im Verborgnen erziehe. Besonders empfehle ich das Nußbraune Mädchen, welche jetzt der [290] Favorit ist. Begegnen Sie Pandoren, die. wie ich höre, ihre Reise von Wien nach Leipzig macht, so erzeigen Sie Sich diesem geliebten Kinde freundlich.
Bringen Sie mich gefällig der Frau Gräfinn Henckel, der Frau von Wedel in's Andencken und lassen mich manchmal Montags unter sich seyn.
Von Carlsbad werde ich nicht ganz stumm bleiben. Lassen Sie mich auch etwas von Sich vernehmen, den Kochbergern, dem Schlesischen Freunde, den Seebachischen meine treusten Grüße.
Mögen Sie mir eine Wohlthat erzeigen; so thun Sie in meiner Abwesenheit den Meinigen etwas zu Liebe, die ich abermals länger als billig allein lasse.
Vor zwey Tagen ist Prof. Voigt von Paris wiedergekommen, es hätte mir keine schönere Ausstattung auf meine Reise werden können. Dieser unterrichtete geistreiche junge Mann hat so gut gesehen und so viel eingeerntet, daß seine Erzählungen höchst unterhaltend und lehrreich sind.
Noch gar Manches hätte ich, nach einem so langen Stillschweigen hinzuzusezen; der Raum aber gebietet mir abzubrechen und mich Ihrer Freundschaft und Neigung abermals zu empfehlen.
Jena d. 11. May 1810.
Goethe. [291]