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An Carl Friedrich Zelter

Da ich weiß daß man sich bey dir insinuiren kann, wenn man von deinen Berlinern gut denkt und spricht, so will getrost vermelden: daß ich gestern das Fest eines eurer trefflichsten Freidens-Heroen praktisch gefeyert habe.

[139] Es ist doch wirklich merkwürdig daß seit 4124 Jahren, genau berechnet, das heißt seit Noachs Experiment sich zu berauschen, ob schon man immerfort gewünscht hat, des edlen weines und zwar soviel als möglich zu gewinnen, niemand recht auf den Grund der Sache kommen konnte, wie man sich auch im Einzelnen mehr oder weniger geschickt oder ungeschickt dabey gebärdete; bis endlich ein Berliner Blechlackirer das Ey aufrecht stehen machte und uns einen Gedanken hinstellte, an dem wir abmessen können, inwiefern man sich bisher der echten Behandlung genähert habe.

Von Dornburg aus habe ich wohl schon hierüber ehmals geschrieben; seit der Zeit gab ich mich [damit], wie überhaupt mit Botanik, emsig immerfort ab. In Weimar, Belvedere, Jena und sonst ergriff man die ausgesprochene Maxime alsobald, ich pflanzte wenige Weinstöcke, die sind nun drey Jahre alt und wurden nach jener Art zurecht geschnitten. Aber in meinem Garten, an der Wand des Hinterhauses, steht ein uralter, mächtiger ungarischer Weinstock, der sehr schöne große blaue Trauben, aber unregelmäßig, bald viel bald wenig, brachte. Kechts wohlerfahrner Schüler und Anhänger, der ihn eben jetzt methodisch verstümmelte, versprach uns für's nächste Jahr achtzig Trauben. Du bist eingeladen, bey der Lese Zeuge zu seyn und Mitgenießender.

Ein hiesiger Bürger und Uhrmacher hat sich, freylich mit Geist und Leidenschaft, auf diese Pflege des[140] Weinstocks geworfen und von der Rede eines dreyjährigen Stockes im vierten Jahr 120 Trauben geerntet. Gewiß aber ist's hier wie mit allem Vorzüglichen: nur dem gelingt es, der die Maxime gründlich auffaßt, sie mit Neigung und Baharrlichkeit durchzuführen und besonders auch der Localität und dem Klima anzueignen weiß.

Bey allem diesem würde ein etymologischer Deuter gewiß merkwürdig finden, wie aus einem Knecht durch Auslöschung eines einzigen Buchstabens einKecht geworden. Indessen wollen mir ihm seinen Platz unmittelbar neben unserm edlen Thaler schuldigst einräumen.

Du sieht, es geht bey mir nach alter Weise. Zu den hundert Dingen die mich interessiren constituirt sich immer eins in die Mitte als Hauptplanet und das übrige Quodlibet meines Lebens treibt sich indessen in vielseitiger Mondgestalt umher, bis es einem und dem andern auch gelingt, gleichfalls in die Mitte zu rücken.

Zunächst aber möcht ich erfahren was ihr von dem trefflichen Felix wißt. Ich hatte einen höchst interessanter Brief aus der Schweiz von ihm, wovon ich dem Chaos einiges anvertraute; ich schrieb ihm nach München, habe aber seit der Zeit nichts weiter vernommen.

Treue Segnungen zu allem Guten und Schönen!

W. d. 15. Nov. 1831.

J. W. v. G. [141]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8287-3