7/2189.

An Charlotte von Stein

Ilmenau d. 9. Nov. 85.

Hier ist der völlige Winter eingetreten und hat die ganze Gegend in sein weises Kleid gehüllt. Man sieht keinen Berg für Wolcken und es wäre recht heimlich wenn man nicht so allein wäre. Ich dencke mir den armen Ernst hier, es wäre ein Aufenthalt zum Erhängen.

Ich lese im Linné fort, denn ich muß wohl, ich habe kein ander Buch. Es ist das die beste Art ein Buch gewiss zu lesen, die ich öffters prackticiren muß, besonders da ich nicht leicht ein Buch auslese. Dieses ist aber vorzüglich nicht zum lesen sondern zum recapituliren gemacht und thut mir nun treffliche Dienste, da ich über die meisten Punckte selbst gedacht habe.

Noch finde ich in meinen Angelegenheiten hier nichts als was mir Freude machen könnte. Es geht gut was ich angelegt habe und wird iährlich besser [118] werden. Wenn ich noch eine Zeitlang daure und aushalte, dann kann es wieder eine Weile von selbst gehn. Ach meine liebe wie viel wäre zu thun und wie wenig thun wir.

Heute habe ich ein Capitel an Wilhelm geschrieben und nun noch eins dann ist der Theil geschlossen. Wie freue ich mich euch diesen Abschnitt vorzulesen. Es soll Thee gemacht werden und Caminfeuer, damit es an Dekoration und Accompagnement nicht fehle.


d. 10ten.

Es geht mir ganz gut hier, nur daß ich dich, Abends immer vermisse. Es ist die Art der Geschäffte daß sie sich vermehren wie man tiefer hineindringt. Sie machen mir Freude, weil ich auf viele Seiten würcken kann und wenn man nur Licht wohin bringt schon viel gethan ist.

Wenn ich rechne daß ich nur 8 Stunden aus Gotha habe, so mögt ich wohl meinen Rückweeg über dort nehmen und meine Freunde mit dem Conradin besuchen. Ich komme einige Tage später zu dir, das ist alles was mich abhält.

Hier ist nun völlig Winter, alles überschneit, die Berge im Duft und nur landwärts sieht man von der Sonne bestrahlte Höhen. Es ist schön und reizend, obgleich für unsre Arbeiten zu früh.

Von mir kan ich dir nichts weiter sagen, wenn ich unbeschäfftigt bin dencke ich an dich.

[119] Lebe wohl. Die Augen thun mir weh. Der Schnee hat mich geblendet und das Licht auf dem Weissen Papier schmerzt mich. Gute Nacht.

Eben erhalte ich noch deine wenigen Worte und dancke dir herzlich.


d. 11ten.

Heute hab' ich endlich das sechste Buch geendigt. Möge es euch soviel Freude machen als es mir Sorge gemacht hat, ich darf nicht sagen Mühe. Denn die ist nicht bey diesen Arbeiten, aber wenn man so genau weis was man will, ist man in der Ausführung niemals mit sich selbst zufrieden. Ich wünschte nur du hättest noch nichts davon gehört. Doch du bist gut und hörst es wohl noch einmal, auch wenn es zusammen ist nimmt sich's anders aus, besonders da dieses Buch wieder für sich ein Ganzes ausmacht. Ich freue mich auf Herders und die Imhof.

Hab ich doch Wort gehalten d. 12. Nov. vorigen Jahrs war das vorige Buch fertig. Wenn es so fort geht, so werden wir alt zusammen eh wir dieses Kunstwerck vollendet sehn.

Meine Sachen sind soweit abgethan. Das schöne Wetter lockt mich, ich will morgen auf Gotha reiten, um dort meinen Freunden auch einmal Freude zu machen und den Conradin zu sehen. Der Anblick dieses, ienseits der Alpen gefertigten Wercks, wird mich auch auf den Thüringischen Winter stärcken helfen. Wenn ich es nur in deiner Gesellschafft sehen könnte.

[120] Grüse Fritzen und die Imhof und denckt an mich. Fritzen dancke für sein Briefgen. Wenn seine Hand sich so hält und weiter bessert soll mich's freuen. Lebe wohl.

Meinen ersten Brief wirst du erhalten haben. Adieu.

G.


Ich habe noch eine köstliche Scene gehabt die ich wünschte dir wiedergeben zu können. Ich lies einen Buchbinder rufen um mir das Buch Wilhelms in meiner Gegenwart zu heften, er erinnerte eine Bitte die er bey der Steuerkommission angebracht und unter der Arbeit erzählte er mir seine Geschichte und sprach über sein Leben. Jedes Wort das er sagte war so schweer wie Gold und ich verweise dich auf ein Dutzend Lavaterische Pleonasmen um dir die Ehrfurcht auszudrücken die ich für den Menschen empfand.

Lebe wohl meine Beste, ich hoffe daß meine verlängerte Abwesenheit auch dir zur Freude gereichen werde, denn es wird mich aufmuntern mehr Menschen zu sehen. Adieu mein süses bestes Herz, du fühlst doch wie lieb ich dich habe, wie dein ich bin und wie ich mich durch alles hin nach dir sehne.

d. 11ten Abends.

[121]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1785. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-829E-4