10/2947.

An die Herzogin Amalia

Durchlauchtigste Fürstinn,
gnädigste Frau,

Es ist bißher, Danck sey der Vorsicht unsers großen Heerführers, alles so ordentlich gegangen, wir haben unsern Weg so ruhig und sicher zurückgelegt daß ich kaum einigen Unterschied empfand wenn ich im feindlichen Lande von Ort zu Ort mich mitbewegte, es war eben als wenn man in einer großen Suite von Weimar nach Eisenach führe. Alles ging so natürlich zu daß ich bey mir Entschuldigung genug fand Ew. Durchl. bißher noch nicht geschrieben zu haben.

[20] Nunmehr aber da wir in das Land der Wunder scheinen gelangt zu seyn fühle ich mich gedrungen nicht von dem was vorbey, sondern von dem was gegenwärtig ist einige Nachricht zu geben.

Des Königs Hauptquartier ist einige Stunden von Ste Menehould, einige Meilen von einer alten Verschanzung welche Attila aufwerfen ließ, und von dem Felde wo dieser Hunnenkönig eine große Schlacht lieferte. Eine Chaussee der Römer geht nahe hier vorbey und das Schlachtfeld von Sompy ist auch nicht weit entfernt, und es scheint von jeher diese Gegend zum Schauplatz großer Begebenheiten bestimmt zu seyn.

Was uns davon noch mehr überzeugt ist die sonderbare Entdeckung daß hier Cartetschen Kugeln auf dem Felde wachsen, eine Erscheinung die uns sehr in Verwirrung setzte als wir nach der Kanonade vom 20ten auf den Höhen mitten unter 12 und 24pfündigen Canonenkugeln viele kleinere fanden, die kein Artillerist anerkennen wollte und die zuletzt von dem Naturforscher für Naturproduckte erklärt werden mußten. Ich habe davon soviel aufgeladen daß ich meine Mineralogischen Freunde damit werde versehen können, wovon ich Herrn v. Knebel und Herrn Voigt Nachricht zu geben bitte.

Ferner scheint die Natur diese Gegenden von Urzeiten her zu Schlachtfeldern bestimmt zu haben weil sie ihnen nicht den mindesten Reiz verliehen. Flache,[21] nur mäßig fruchttragende Hügel und Flächen ziehen sich weit und breit an einander, kaum daß man einen Baum oder einen Busch sieht, da sich die Dörfchen mit ihrem sparsamen Holze in die Gründe verstecken. Überhaupt habe ich für den ästethischen Sinn meines Auges wenig Genuß gehabt. Seit Trier habe ich nur allenfalls ein dutzend Gegenstände gesehen die zur höchsten Noth zu solchen Landschaften taugten wie man sie ehmals aus Nürnberg zur Quaal der Anfänger in der Zeichenkunst erhielt.

Zwar ists möglich daß das höchst üble Wetter mir oft die Augen zugeschlossen, der Nebel manches sehenswürdige verdeckt hat. Denn es hat die böse Witterung uns mehr als alle andre Übel gepeinigt, ja manchmal der Verzweiflung nahe gebracht, besonders da sie uns meist auf dem Marsche und bey jeder wichtigen Unternehmung überfiel. Man schilt öffentlich Jupitern einen Jakobiner ia einen sans cullotte. (Welchen letzten Schimpfnahmen er umsomehr verdient, als er sich öfters in solcher Gestalt betreten lassen und noch hie und da in effigie gleicherweise aufgestellt ist.)

Auch kann ich Ew. Durchl. nicht bergen daß Leute die tiefer sehen geradezu Wielanden die Schuld alles dieses Unheils geben, weil er den König der Könige zum Demokraten gemacht und ihn von der Sache seiner Oheime, Vettern und Gevattern Lbden Lbden, wenigstens auf einige Zeit abgezogen.

[22] Hören nun Ew. Durchl. nach allem diesen daß wir schon mehrere Wochen in der Nähe von Champagne, ja in Champagne hausen und herschen und doch noch keinen Tropfen leidlichen Weins getruncken haben, so werden Sie deutlich einsehen daß es hierherum nicht mit rechten Dingen zugehe und daß wir uns auf einem Boden befindendem nicht recht zu trauen ist. Indessen ist das Zutrauen wie die Freundschaft keine Kunst zur Zeit wenn alles gelingt und glückt. Wenn es mißlich wird dann zeigt sich erst der Glaube der sich an dem erquickt und stärckt was er nicht sieht.

Da ich mein voriges Blat ansehe finde ich daß es mir ergangen ist wie jenem Töpfer der einen Topf zu machen vornahm und dem der Thon unter den Händen zur Schüssel wurde. Ew. Durchl. werden mir das gewiß verzeihen da ich in einem Augenblick schreibe da wir selbst der Thon sind der geknätet wird ohne daß ein Mensch weis ob es ein Gefäß zu Ehren oder zu Unehren werden kann.

Das beste was mir übrigens in dieser Halbwüste, an welcher die alte Natur und die neue Kriegskunst um die Wette gearbeitet haben, zu sagen bleibt, ist: daß sich unser Fürst recht wohl befindet und daß er, wenn er gleich wie seine treuen Diener an Corpulenz ein wenig abgenommen, dennoch ja desto mehr an übrigem Wohlseyn sich befestigt fühlt. Er trägt mir auf ihn bey Ew. Durchl. zu entschuldigen daß er nicht selbst schreibt und seine herzliche Liebe versichert.

[23] Ich wollte weiter schreiben aber muß gesiegelt und fortgeschickt werden und darüber sage ich nichts von allem was ich hätte sagen sollen.

Ew. Durchl.

Hauptquartier Hans

unterthänigster

d. 25. Sept. 1792.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1792. An die Herzogin Amalia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-82E0-C