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An Johann Peter Langer

Ew. Wohlgeboren

haben von jeher auf meine Empfehlungen so freundlich geachtet, daß ich keinen Anstand nehme Dlle Seidler welche sich nach München verfügt Gegenwärtiges mitzugeben.

Das Kunst-Talent dieses Frauenzimmers, welches ich von Jugend auf in allem Guten habe heranwachsen sehen, beurtheilen Ew. Wohlgeboren am sichersten selbst und helfen ihr gewiß sich weiter auszubilden. An Fleiß und Aufmerksamkeit läßt sie es nicht fehlen, so wie ihr anmuthiges, einfaches Wesen den Lehrer so gut als die Gesellschaft anspricht.

So viel Gutes ich ihr wünsche, so beneid ich sie doch einigermaßen [um] die Anschauung so vieler trefflicher Kunstwerke und Ew. Wohlgeboren lehrreiche Unterhaltung. Mir will es so wohl nicht werden, ob ich gleich jedes Jahr Blick und Wunsch in Ihre Gegend wende.

Beygehendes Heft widme ich Ew. Wohlgeboren besonders, da ich überzeugt bin daß Sie die Gesinnungen der Weimarischen Kunstfreunde theilen. Es ist die höchste Zeit den Jammer dieser Seuche laut aus zusprechen, wenn man auch nicht so gleich sieht wo die Heilung herkommen soll. Aus allem was deshalb seit der Zeit bey mir einläuft, es sey billigend oder mißbilligend, verdammend oder schonend, sieht man[162] durchaus daß Übel viel weiter um sich gegriffen hat als man dachte. Alle Arten von Stärken und Schwächen, Edles und Jämmerliches, Talent und Nichtigkeit, Religion und Aberglaube, frommer Wahn und Sinnlichkeit, das alles zusammen bildet eine Societät, die vielleicht noch nicht in der Welt gewesen ist. Mögen Sie mir von Ihren neusten Erfahrungen mittheilen, so verbinden Sie mich sehr, wir möchten gern in diesem Sinne klar seyn, wie sich's im Augenblick verhält.

Junge, recht geschickte Künstler, die sich auf diesem Wege geübt, verfertigen schon auf alte Bretter altscheinende Bilder, um weniger einsichtige Liebhaber zu hintergehen. So bietet man gegenwärtig in Berlin zwey Lucas von Leyden und einen Martin Schön zum Verkauf. Was für eine Confusion in die Kunst-Kenntniß und Praxis kommen muß, fällt in die Augen. Haben Sie ja die Güte mich von Ihrer Seite zu belehren, denn das Nächste, was die Weimarischen Kunstfreunde äußern dürften, müßte in's Leben kräftig eingreifen. Vorerst treten doch ältere geprüfte Künstler und alle Bildhauer, auch die jüngern, auf die rechte Seite.

Soviel für dießmal! Möge die Dazwischenkunft der guten artigen Schülerin eine lebhafte Communication zwischen uns erneuern!

ergebenst

Jena den 4. July 1817.

Goethe. [163]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Johann Peter Langer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-82F8-7