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An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

Ihr lehrreicher Brief, den ich vor einiger Zeit erhalten, forderte mich anhaltend zu einer Antwort auf. Ein anderer an Schillern erinnert mich meiner Schuld und ich eile Ihnen zu schreiben, ehe Sie sich noch weiter von uns entfernen.

Ich lobe sehr Ihren Entschluß nach Spanien zu gehen; denn wer einmal fremde Litteraturen genießen, sich von der bewohnten Welt einen Begriff machen, über Nationen, ihren Ursprung und ihre Verhältnisse denken will, der thut wohl, manche Länder zu bereisen, um sich ein Anschauen zu verschaffen, das durch keine Lectur erregt werden kann.

Ich weiß es sehr gut an mir selbst mit welcher unterschiednen Einsicht ich einen Italiänischen Schriftsteller oder einen Englischen lese. Der erste spricht zu mir gleichsam durch alle Sinne und giebt mir ein mehr oder weniger vollständiges Bild; der letzte bleibt immer der Gewalt der Einbildungskraft mehr ausgesetzt und ich bin nie ganz gewiß, ob ich das Gehörige dabey denke und empfinde. So hat mir auch mein Aufenthalt zu Neapel, und meine Reise durch Sicilien, eine gewisse nähere Anmuthung zu dem ganzen griechischen Wesen verschafft, sowie mein Aufenthalt in Rom zu dem lateinischen. Wenigstens[95] kommt mir vor daß ich seit der Zeit die Alten besser einsehe.

Von Frankreich sowohl als von Spanien hoffe ich durch Sie dereinst die großen Lücken, die sich in meiner Kenntniß dieser Länder befinden ausgefüllt zu sehen. Denn was man durch einen gleichgesinnten Freund erfährt ist nahe zu als wenn man es selbst erfahren hätte.

Diesen Winter habe ich zwar nicht leidend jedoch nicht zum besten zugebracht. Indessen haben wir Schillers Wallensteinischen Cyklus auf die Bühne eingeführt und haben manche Mühe und manchen Genuß gehabt. Doch hat daß eigentliche Unangenehme und Unbequeme der Vorbereitung Schiller selbst mir abgenommen. Er hat sich in Absicht auf Gesundheit und Stimmung bey dieser Thätigkeit sehr wacker gehalten und durch diesen neuen und von allen Seiten schweren Versuch gar viel gewonnen.

Man hat auch bey diesem Unternehmen gesehen, daß man eigentlich alles wagen kann, sobald man mit Genie, Geist und Überlegung wirkt. Das erste Stück,Wallensteins Lager hat die Menschen nicht allein sogleich mit dem Reim ausgesöhnt, sondern sogar dessen Bedürfniß erweckt und durch seine Lebhaftigkeit eine gute Sensation gemacht. Das zweyte die Piccolomini, hat den Beyfall aller erhalten, welche es ganz hören konnten, oder mochten; diejenigen aber, denen es entweder an dem Grade der [96] nöthigen Aufmerksamkeit gebrach, oder die durch äußere Umstände theilweise zerstreut und gehindert waren, oder wer sonst etwa nicht den besten Willen hatte, beschwerte sich über die Länge und den Mangel an Handlung; alle aber mußten der einzelnen Ausführung und dem reichen Gehalte des Stücks Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Wallenstein zuletzt hat alle Stimmen vereinigt, indem er aus den vorbereitenden Kelchblättern, wie eine Wunderblume unversehens hervorstieg und alle Erwartungen übertraf. Ich freue mich in Ihre Seele zum voraus auf die Stunden, in denen auch Sie dieses Genusses theilhaftig werden.

Ihre Arbeit über meinen Herrmann und Dorothea, für die ich Ihnen nochmals danke, habe ich nun in schönem Drucke vor mir und nehme die einzelnen Capitel nach und nach wieder vor. In wie fern ich davon profitire und in meinen Arbeiten vorschreite, sollen Sie selbst beurtheilen, wenn Sie dereinst zurückkommen und eine größere epische Arbeit, wo nicht vollendet, doch im Gange finden, von der ich gegenwärtig nicht einmal den Stoff anzuzeigen wage, damit nicht Ihre freundschaftliche Sorge rege werde ob ich mir nicht etwa gar Ikarische Flügel zubereite.

Gar erfreulich ist es mir daß wir uns bisher auch durch die Propyläen mit Ihnen unterhalten konnten.

Es ist freylich gewissermaßen eine traurige Arbeit, da wir sonst Hoffnung hatten diese Stoffe, von denen meist die Rede ist, in Gegenwart der Kunstwerke selbst [97] auszuführen und dadurch der Behandlung noch mehr Leben, Wahrheit und innern Zusammenhang zu geben. Doch was uns am Object abgehen mag, gewinnen wir reichlich durch Schillers Mitarbeit. Wir drey haben uns nun so zusammen und in einander gesprochen, daß bey den verschiedensten Richtungen unserer Naturen keine Discrepanz mehr möglich ist, sondern eine gemeinschaftliche Arbeit nur um desto mannigfaltiger werden kann. Wir haben seit einiger Zeit angefangen Plane und Entwürfe zusammen zu machen welches den großen Vortheil gewährt, daß nicht etwa, bey einem vollendeten Werk, Erinnerungen vorkommen, die man entweder nur mit beschwerlichen Abänderungen nutzen kann, oder die man wohl gar wider seinen Willen ungenutzt liegen lassen muß. Wenn das vierte Stück der Propyläen Sie noch in Paris antrifft, so wird eine Art von kleinem Roman in Briefen, unter dem Titel der Sammler und die Seinigen, der auf diese Weise entstanden ist, Ihnen gewiß einiges Vergnügen machen, um so mehr, da Sie die Individuen kennen, von denen sich dieses wunderliche Werkchen herschreibt.

Es ist nun auch eine Abhandlung auf dem Wege, über den Dilettantismus in allen Künsten, versteht sich den praktischen. Es soll darinn dargestellt werden sein Nutzen und Schaden fürs Subject sowohl als für die Kunst und für das Allgemeine der Gesellschaft. Die Geschichte desselben, sowohl in Deutschland [98] als im Ausland, wollen wir nicht übergehen. Sie sehen wohl, daß dieses auch nur eine Skizze werden kann, die Sie dereinst mit auszuführen eingeladen sind. Haben Sie doch die Güte, mir etwas von dem praktischen Dilettantism in Spanien von welcher Kunst es auch sey zu melden. Vielleicht schreiben Sie mir bald etwas über die Franzosen und wohin sich bey diesen die Neigung und Thätigkeit der Liebhaber richtet.

Überhaupt war ich schon in Versuchung von einigen Stellen Ihrer Briefe in den Propyläen Gebrauch zu machen, sowohl derer an mich als an Schillern indem so manche Übersicht und Schilderung sich darinn befindet, die man dem größern Cirkel mittheilen möchte.

Ihre Nachricht von Retif tat mir ganz besonderes, so wie auch unserm engern Kreise, Vergnügen gemacht.

Vielleicht haben Sie künftig die Güte die Stellen, von denen es Ihnen nicht unangenehm wäre wenn man sie abdrucken ließe vorn herunter mit einem Strich zu bezeichnen.

Haben Sie wohl schon von einer Ausgabe vernommen, die von Wolfs Homer veranstaltet wird? La Garde in Berlin ist Verleger. Der Text soll in Kupfer gestochen werden dazu will man bildliche Vorstellungen, sowohl in großen Platten als in einzelnen Vignetten hinzufügen. Das Unternehmen ist sehr groß und wir werden wahrscheinlich einigen Einfluß darauf haben, indem Prof. Meyern schon deshalb ein [99] Antrag geschehen ist, und ich, auf eine bestimmtere Anfrage einen Brief von Prof. Wolf erwarte.

Bey dieser Gelegenheit wird die Lehre von den zu behandelnden Gegenständen wieder stark zur Sprache kommen, wobey man, wie Sie recht wohl bemerken, von dem strengen Grundsatz des Selbstaussprechens zwar ausgehen, aber nicht streng dabey verharren darf. Es würden wenig ganz reine und vollkommene Darstellungen möglich seyn, auch wird man nicht einmal einen vollständigen Cyklus schließen können, sondern man wird, in mancherley Rücksichten, sich hin und her bewegen müssen. Dabey wird die Regel, die Sie in Ihrem Briefe festsetzen sehr leitend und dirigirend seyn daß nämlich wenigstens die physische Handlung vollkommen klar werde und diese auch schon sinnlich und moralisch bedeutend, nicht weniger angenehm sey; daß man aber den eigentlichen Beweggrund und die nähere Bestimmung aus dem Gedicht zu erfahren habe.

Ich mache daher einen dreyfachen Unterschied von zulässigen Bildern in diesem Falle 1) ganz selbstständige Bilder, 2) Bilder, die Theile eines selbstständigen Cyclus ausmachen (von diesen beyden könnte man sagen: sie werden aus dem Gedicht genommen), 3) Bilder zu dem Gedicht. Diese haben das Recht nur in so fern selbstständig zu seyn daß sie gut aussehen, die Neugierde reizen und, sobald man von dem Gegenstand unterrichtet ist, vollkommen befriedigen.

[100] Wir werden uns freylich in Acht nehmen uns in so ein schwieriges und von mancher Seite beschwerliches und gefährliches Unternehmen einzulassen, ohne über den Sinn und Plan sowohl mit Prof. Wolf als mit dem Verleger vollkommen einig zu seyn. Ist Ihnen, oder Ihrer lieben Frauen, etwas erinnerlich von Vorstellungen aus dem Homer die Sie irgendwo gesehen, und die eine gute Wirkung gethan, so lassen Sie mich doch etwas davon erfahren.

Primaticcio hat in Fontainebleau die Odyssee gemahlt; wahrscheinlich sind diese Bilder gestochen worden. Könnten Sie ein Exemplar davon irgend finden, so würden Sie mir ein besonderes Vergnügen machen, wenn Sie mir es bald zuschickten.

Und nun noch eine Anfrage. Wüßten Sie wohl einen Weg wie man dem Maler David und einem andern, der, wenn ich nicht irre, Renaud heißt, beykommen könnte? um in der Folge, wenn die Sache im Gange ist, etwa auch eine Zeichnung von jedem zu erhalten. Sind die Preise sehr hoch die sie auf ihre Arbeiten setzen? und könnten Sie mir etwa, werther Freund, jemanden in Paris verschaffen, der zu so einer Connexion und Negotiation geneigt und geschickt wäre.

Nun habe ich noch zweyerley Gesuch für die Zukunft:

Wenn Sie Frankreich durchreisen, bemerken Sie doch: ob Sie von den geplünderten Schätzen aus [101] Italien irgend etwas auf Ihrem Wege antreffen, es sey von welcher Art Kunstwerke es wolle und notiren Sie das einzelne. Weil es immer sehr interessant ist wenigstens einem Theil des Verlorenen wieder auf die Spur zu kommen.

Dann wünschte ich, Sie oder Ihre liebe Frau machten sich zum Geschäft alles was Sie in Spanien antreffen recht genau zu bemerken es seyen nun alte oder moderne Arbeiten, damit wir erführen was sich daselbst zusammen befindet und welche Gestalt derSpanische Kunstkörper eigentlich habe. Es würde ein schöner Beytrag für die Propyläen seyn.

Wenn Sie mir künftig schreiben, so haben Sie doch immer die Güte mir etwas von Ihrem Herrn Bruder zu melden, dem ich die glücklichste Reise wünsche und dem ich mich gelegentlich bestens zu empfehlen bitte. Bey seinem Genie, seinem Talent seiner Thätigkeit, ist der Vortheil seiner Reise für die Wissenschaften ganz incalculabel, ja man kann behaupten daß er über die Schätze deren Gewinnst ihm bevorsteht, künftig dereinst selbst erstaunen wird. Wäre es möglich von Zeit zu Zeit etwas von seinen Entdeckungen zu erfahren, so würde es uns sehr erfreuen und fördern und unsere Hoffnung nähren, seine Rückkunst dereinst zu erleben.

Finden Sie in Spanien etwa eine kleine Smaragdstufe die dort so gar selten nicht sind (es ist schöner[102] weißer Kalkspath auf welchem die kleinern oder größern sechsseitigen Säulenkrystalle aufsitzen); so würden Sie mir eine Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie mir eine mitbrächten. Ein paar Louisd'or möchte ich wohl allenfalls dafür anwenden. Weder die Stufe noch die Krystalle brauchen groß zu seyn wenn sie nur deutlich und besonders an ihren Zuspitzungsflächen wohl erhalten sind.

Da Sie, bey Gelegenheit des Kotzebuischen Stücks, etwas über das Drama äußern; so fällt mir ein was wir neulich bey Durchlesung der Euripidischen Stücke zu bemerken glaubten: daß sich nämlich zu der Zeit dieses Autors der Geschmack schon offenbar nach dem was wir Drama nennen hinneigte. Die Alceste ist auffallend von dieser Art so wie der Ton die Helena und mehrere. Nur wird dort durch ein Wunder das Unauflösliche gleichsam bey Seite gebracht; bey uns muß die Rührung statt des Wunders eintreten. Wenn Euripides das Sujet von Menschenhaß und Reue behandelt hätte; so wäre zuletzt Minerva hervorgetreten und hätte dem alten Hahnrey auf eine vernünftige Weise zugesprochen und so hätte er sich denn wahrscheinlich in sein Schicksal ergeben.

Für die Mittheilung des Stücks vom Agamemnon danke ich recht sehr, es ist sehr, löblich daß Sie in der großen Zerstreuung eines auswärtigen Lebens nur daran fest halten, wo doch der Grundpfeiler aller ästhetischen Bemühungen steht.

[103] Für heute muß ich schließen, damit der Brief fortkomme denn ich gehe morgen früh nach Weimar ab, und wenn ich ihn mitnehme, so bin ich nicht sicher, daß er nicht noch eine Woche liegen bleibt. Leben Sie recht wohl und reisen Sie glücklich. Schiller ist auch im Begriff an Sie zu schreiben.

Lassen Sie sich doch, ich wiederhole es, auf Ihrer Reise nichts entgehen, was auf Kunst Bezug hat, schreiben Sie mir es bald und geben mir die Erlaubniß in den Propyläen davon Gebrauch zu machen.

Grüßen Sie Ihre liebe Frau und ehe Sie Frankreich verlassen so schreiben Sie mir nur ein Wort, damit wir Sie im Geiste aufsuchen können.

Jena am 26. Mai 1799.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8307-0