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An David Heß

Es war Abends, Montag den 11. December, als ich mit meinem Freunde Heinrich Meyer in gewöhnlichen Betrachtungen über Kunst und Leben zusammenfaß, die Winternacht um ihre Länge zu betrügen, als ein Paquet anlangte, das schon durch äußere sorgfältige Packung für den Inhalt vortheilhafte Meinung erregte; ebenso einladend waren die Züge der Aufschrift, die an eine Zeit erinnerten, wo man aus jenen schönen Berggegenden Anklänge, Mittheilung und Anregung erlebte. Nach kurzem, rathendem und ahnenden Zaudern eröffnete man das Gesendete, und hier traten wirklich die erfreulichsten Erinnerungen uns beiden entgegen. Aus einer grauen Geistertiefe ruckten die Züge eines bedeutenden geschätzten Mannes näher und näher; Umgebungen, Ereignisse, Charaktere entwickelten sich, und eine wahrhaft schöne Übereinstimmung des Vorgetragnen ward empfunden.

Wie vollständig das gewesen sey, können Sie, trefflicher Mann, am besten sich überzeugen, wenn [90] ich vermelde, daß Freund Meyer, seinen heimischen Dialekt nie völlig verläugnend, auf der Stelle zu lesen anfing und sowohl durch Ton als durch aufklärende Noten Entfernung sowie Vergangenheit völlig aufhob, und wir uns am Greifen- und Zürichsee einer bedeutenden anmuthigen Gegenwart erfreuen konnten.

Seit jener Zeit ist das Büchlein von Freuden zu Freundinnen gewandert und hat überall die beste Aufnahme gefunden. Auch Ihro Königliche Hoheit der Großherzog mochte sich dabey mit Vergnügen jener angenehmen Tage erinnern; ich aber habe mich besonders zu freuen, wenn das Andenken unsres freylich etwas seltsamen Erscheinens noch in Herz und Sinn theurer helvetischer Freunde lebendig blieb.

Von Ihrem Fortwirken mit und für den edlen Künstler-Verein hat mir Freund Meyer, nach seinem letzten Aufenthalte in Zürich, gar manches Erfreuliche sagen können, welches alles durch Ihre belebende Zuschrift erneuert worden.

Nun aber möcht ich noch eine Bitte hinzufügen, die aus dem mir unwiderstehlich inwohnenden Schauensdrang hervorgeht, nämlich irgend ein Bildchen oder Zeichnung, deren Landolt doch so manches zurückgelassen, zu besitzen und in meiner Sammlung aufzubewahren; wie ich denn auch einige Zeilen von seiner Hand mit seines Namens Unterschrift zu erhalten wünschte. Sie sehen freylich hieraus, daß eine Befriedigung immer neue Wünsche hervorruckt.

[91] Wir beide grüßen schönstens und hoffen fernerhin Ihrem wohlwollenden Andenken bestens empfohlen zu sein.

ergebenst

Weimar den 11. Januar 1821.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An David Heß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8333-C