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An Christian Dietrich von Buttel

Wie sehr mich Ihre Zuschrift gefreut und tief gerührt habe, will ich eilig vermelden. Mußt es mich nicht überraschen, zur Zeit da in meiner nächsten Nähe der alte Schulplunder noch auf dem academischen Trödelmarkt feil geboten wird, von der ultima Thule her ein so frisches Lebenszeichen zu vernehmen? Lieblicher hat mir lange nichts geklungen als Ihre Worte: »Hauptsächlich in der Lehre vom Trüben, diesem Brautbette gleichsam, worin sich Licht und Finsterniß hochzeitlich zur Farbe vermählen, weilen, wohnen und erfreuen. Das Licht bleibt dabey jungfräulich rein, wird nicht in sich selbstgetrübt oder gezwiespaltet – so wenig wie die Finsterniß sich zu etwas anderem als sich selbst aufschlösse. Beide bleiben in ihrer ursprünglichen Reinheit und nur das[166] Mittel ist es, das sie trübt und verbindet.« Nehmen Sie zum Dank dagegen wenige Reimzeilen:


Wann der Blick an heitern Tagen
Sich zur Himmelsbläue lenkt,
Bey'm Siroc der Sonnenwagen
Purpurroth sich niedersenkt,
Da gebt der Natur die Ehre,
Froh, an Aug' und Herz gesund,
Und erkennt der Farbenlehre
Allgemeinen ew'gen Grund.

Ich brauche nicht zu sagen: halten Sie fest daran, es hält Sie fest, Sie werden nicht loskommen.

Sodann wenn Sie bemerken, daß der prismatische Fall, besonders der objective, nicht ganz befriedigend aus jenen Anfängen abgeleitet sey, so gebe ich es gerne zu und eröffne nur soviel im allgemeinsten: wie ein reines Anschauen uns vollkommen überzeugt und beruhigt, so bedienen wir uns der Analogie, um uns selbst und andere einstweilen zu überreden und zu beschwichtigen. Ferner ist ein Urphänomen nicht einemGrundsatz gleichzuachten, aus dem sich mannichfaltige Folgen ergeben, sondern anzusehen als eineGrunderscheinung, innerhalb deren das Mannichfaltige anzuschauen ist. Schauen, wissen, ahnen, glauben und wie die Fühlhörner alle heißen, mit denen der Mensch in's Universum tastet, müssen denn doch eigentlich zusammenwirken, wenn wir unsern wichtigen, obgleich schweren Beruf erfüllen wollen.

[167] Mehr kann ich für dießmal nicht sagen, denn die Herausgabe meiner Werke legt dem schon Verpflichteten vielfache Pflichten auf. Ich habe mich in dem sittlichästhetischen Kunstkreise beschränkt zu erhalten und darf gegen das große Naturleben meine Blicke nicht hinwenden, in Furcht gleich abgelenkt zu werden. Und doch kann ich diesen Betrachtungen niemals entgehen. Wie manche Stunde der, seit dem Abdruck meines Versuchs der Farbenlehre verflossenen siebenzehn Jahre habe ich mich nicht den unerschöpflichen Reizen einer ewigen Natur hingegeben. Auch Sie fahren gewiß fort in dem löblichen Bemühen, die nie veraltende Mutter zu verstehen und zu verkünden, wo sie sich offenbart, sie zu ahnen, wo sie sich verbergen will und, trotz aller Hindernisse, nach Maaßgabe der Kräfte und des Glücks dieselbe sich und den Ihrigen zu enthüllen. Manches ist dem Menschen zugängig, manches nicht; einiges erreichbar auf diese, anderes auf jene Weise. – Und somit dem geübten Denker für dießmal genug. Erregen Sie mich durch fernere Mittheilung! So freundlich genöthigt begebe ich mich wohl gerne wieder auf den alten Pfad, mich umzuschauen, wo mir und andern Probleme liegen geblieben.

Für die uralten Natur- und Säcular-Producte sey Ihnen der beste Dank gesagt; auch mir will eine bewegliche Gliederung sich offenbaren, auch ich kenne Exemplare, die wirklich beweglich sind. Was Sie mir[168] von solchen und ähnlichen Producten der Insel Helgoland und Ihrer Künsten gefällig mittheilen wollen, wird mir und meinem Sohne höchst willkommen seyn, der sich eines schönen, von mir lange gesammelten Vorraths theilnehmend und ordnend erfreut. Die Insel Helgoland ruht, wenn ich nicht irre, auf einem Porphyrfels: auch ein Musterstück hievon und was sich sonst auf die Formation dieses merkwürdigen Erdpunctes bezieht, wird mir sehr angenehm seyn.

Empfehlen Sie mich Ihrer werthen Umgebung und senden unfrankirt, was es auch sey, Briefe, Paquetchen und Kistchen.

treu theilnehmend

Weimar den 3. May 1827.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Christian Dietrich von Buttel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8349-B