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An den Großherzog Carl August

[Concept.]

Ew. Königlichen Hoheit

verehrteste Frau Gemahlin, welcher angelegentlichst empfohlen zu seyn wünsche, hat die Gnade gehabt mir die Reisebeschreibung des Herzogs Bernhard, welche dankbarlichst anbey zurückerfolgt, zu gar erfreulichem Durchlesen vor einiger Zeit mitzutheilen. Was ich auch hier wieder bewunderte, war die Strategie, womit der Zug unternommen und ausgeführt wurde; es ist kein zufälliger Schritt und also auch kein unnützer. Der Reisende erscheint durchaus im Gleichgewicht; alle seine Eigenschaften begleiten sich geschwisterlich, und wer ihn nicht kennte, müßte gar eigen [92] herumrathen. Man sieht einen überall willkommenen Welt- und Lebemann, einen wohlunterrichteten geprüften Militär, einen Theilnehmenden an Staats- und bürgerlichen Einrichtungen, bey Gastmahlen und Tänzen an seinem Platz, gegen Frauen-Anmuth nicht unempfindlich. Ferner sehen wir ihn bey öffentlichen Gelegenheiten beredt aus dem Stegreife, in der Conversation unterhaltend, mit Anstand frey gesinnt, seiner Würde sich bewußt und die Vortheile seines hohen Standes zu einem leichtern und rascheren Leben benutzend.

Dabey entzieht er sich keiner Unbequemlichkeit, er weiß vielmehr, besonders auf der Reise, die geselligen, oft beschwerlichen Fahrten zu Leben und Unterricht zu benutzen. In Philadelphia verließ ich ihn an dem wichtigen Jahrstage von Penns Ankunft an jenem waldigen Ufer, wo nun zwischen zwey Gewässern eine merkwürdige reiche Stadt bewohnbar ist.

Diese durch aufmerksames Lesen abgenöthigte Charakteristik möge verziehen seyn, da sie mit treuem redlichem Sinn aus dem Ganzen entsprungen ist.

Nun aber füge bescheiden eine Bitte hinzu: in der ersten Abtheilung, welche gegenwärtig unter Geh. Legations-Raths v. Conta Aufsicht abgeschrieben wird, findet sich eine Stelle, deren Copie mir erbitten möchte.

Auf dem Wege zwischen Boston und Albany findet der Reisende eine wunderliche Colonie, Abart von den Quäkers, die sich Schäkers nennen, im Cölibate leben, [93] in ihren religiosen Zusammenkünften auf die Einwirkung des Geistes harren, ihren Cultus aber mit einem fratzenhaften Tanze vollenden und abschließen. Diese Stelle wünschte ich, als ganz etwas Neues und Unerhörtes, den Freunden und Sammlern kirchengeschichtlicher Verrücktheiten gar zu gern [zu] überliefern.

Um nun aber aus der Unvernunft in das Vernünftige überzugehen, vermelde schuldigst, daß wir die neue Bürgerschule besucht haben. Das Gebäude bewirkt schon selbst Cultur, wenn man es von außen ansieht und hineintritt. Die rohsten Kinder, die solche Treppen auf- und abgehen, durch solche Vorräume durchlaufen, in solchen heiteren Sälen Unterricht empfangen, sind schon auf der Stelle aller düstern Dummheit entrückt und sie können einer heitern Thätigkeit ungehindert entgegen geben. Die Lehrart selbst war mir zu fremd und neu, als daß ich mir davon einen deutlichen Begriff hätte machen können, indessen mußte man gut davon denken, da die Kinder mit Schnelligkeit und Heiterkeit Fragen beantworteten und Aufgaben lösten.

Zu dem nach allzu großer Hitze sich genießbarer einrichtenden Wetter wünsche Glück; wie denn alles was sich ereignet, mit dem Unternommenen übereinstimmen möge.

Weimar den 20. Juli 1826.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-835E-E