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An Christian Gottlob Voigt

Von dem düstern Hauptwach-Schloßplätzchen in die freiere Atmosphäre des botanischen Gartens ziehend, hoffte sogleich Ew. Excellenz von meinen Zuständen Nachricht zu geben und mit dem verbindlichsten Danke manches zu verkünden. Da fand sich nun ein Geschwulst am linken Fuß ein, von welchem die Ärzte sagen, ich habe Gott zu danken daß es nicht der rechte sey. Da blieb mir nun nichts übrig als mich zu gedulden. Indessen hat ein von Serenissimo höchstselbst verordneter Schnürstrumpf Wunder gethan, und wenn sich das Übel so fort und fort vermindert, so werde ich's gar bald los; möchte sich in eben dem Maaße Ew. Excellenz Befinden wiederherstellend vervollkommen, so würden wir ein so freundliches als fröhliches baldiges Begegnen erleben.

Den aufrichtigen Dank habe zu sagen für die [118] Beförderung jener ehrenhaften Beynamen, es hilft mir persönlich, und also gewiß auch unsern gemeinsamen Geschäften, über manches hinaus; so viel kann ich im Ganzen versichern daß die hiesigen uns untergebenen Anstalten sämmtlich Prüfung nicht fürchten. Sie sind noch von der alten Zeit, wo man durch Sorgfalt, Kenntniß und Ausdauer mehr leistete, als auf andern Wegen geschehen kann.

Ich habe mich verführen lassen meine alten naturwissenschaftlichen Papiere zu sichten und das allenfalls Brauchbare drucken zu lassen, es mag seyn! die neusten Ansichten widersprechen meinen ältesten nicht; wenn man auch schnell und viel weiter gegangen ist als ich wagte, so mögen diese Hefte zum Zeugniß dienen, was früher im Sinne trug.

Derjenige, an dem ein neues Gesetz zum erstenmal ausgeübt wird, ist immer überrascht und hat Ursache sich zu beklagen. Das Gefühl unserer Freunde theile ich redlich, es ist aber immer sehr schmerzhaft, wenn man nur der Zeit die Heilung eines ethischen Unfalls anempfehlen muß.

Wie wird es nun gar mit unserm neuen Criminalgesetz gehen? wie werden sich die Menschen verwundern, wenn die Gebrechen, in denen und zu denen sie erzogen sind, auf einmal zu Verbrechen werden!

Die Akademie im Ganzen wird sich gewiß an Frequenz und Thätigkeit der Lehrer wie der Schüler[119] heben, alles andere sind Zwischenfälle, die man wie andere Unfälle erdulden muß.

Daß die deutschen Studirenden eine einzige Burschenschaft errichten, ist der Zeit ganz gemäß, und der allerliebste Zeitgeist präsidirt auch hier. Recht wunderbar! daß in dem Momente wo man die Innungen aufhebt, neue Innungen sich bilden, und es kommt jetzt blos auf einen einzigen kühnen Meister Maurer, Zimmermann, Becker und Fleischer an, so entstehen Corporationen, denen das neuste deutsche Reich nichts zu befehlen hat, und vor denen der Bundestag sich entsetzten müßte. Verzeihen Ew. Excellenz diese einsiedlerischen Äuserungen, eben als wenn sie mündlich geschehen wären, dergleichen Sie mir in unsern glücklichsten Zeiten manche nachgesehen haben.

Wünsche bleiben mir wenig zu thun, da mir mehr als ich verdiente geworden ist, aber ich habe die recht angelegentliche Hoffnung, daß wir, die wir auf dem Kahne des Lebens so lange zusammen fuhren und schwankten, auch in Charons Nachen unzertrennt hinüberziehen möchten!

Jena d. 5. Juny 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-83E8-7