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An Carl Ludwig von Knebel

Ich muß, mein lieber Freund, schriftlich von dir Abschied nehmen, da ich vor meiner Abreise dich in Jena nicht mehr besuchen kann. Da die Zurückkunft unseres gnädigsten Herrn sich immer weiter hinausschiebt, so werde ich durch freundliche Ermahnungen, ja sogar durch eine Art Geheiß unserer gnädigsten Fürstin nach Wiesbaden gleichsam getrieben, indem ich meine Wohnung, die grade in dieser Jahrszeit am angenehmsten ist, ungern verlasse und mich hinaus wage in das Welt- und Badegetümmel, wo man wohl Heilung, aber keine Erquickung hoffen darf. Ich wünsche dir, indessen es draußen stürmt, in deinem Thal Friede und Freude.

Daß dir die Gemme, von der ich dir einen Abdruck schickte, viel Freude machen würde, war ich überzeugt, indem du auf solche Dinge ein geübtes Auge hast. Es ist diese geschmackvolle, ja prächtige Composition in einen schönen, gegen die Hyacinthfarbe hinziehenden Carniol geschnitten, echt antiken Ursprungs, etwa aus [320] den Zeiten der Antonine. Die Stäbe zu beyden Seiten sind eigentlich militarische Signa, als auf welchen Adler sowohl als Victorien und andere Gestalten zu stehen pflegten. Daß die Siegesgöttinnen den Jupiter Serapis zu kränzen, oder vielmehr ihre kleinen Kränzlein auf den Modius, gleichsam als auf einen Altar, zu legen scheinen, ist sehr gut ausgedacht. Der Adler führt keinen Donnerkeil, sondern nur gleichfalls einen Kranz im Schnabel. Das, worauf er steht, könnte man für ein Septum halten; es sind aber eigentlich die drey Buchstaben


in einer Art von Pfeilschrift. Was diese bedeuten, ist schwer zu rathen, ob man ihnen gleich, auf unsere Zeiten, einen ziemlich directen Bezug geben könnte. Wundersam ist es freylich, daß man in keiner Schwefelsammlung einen Abdruck, in keinem Werke eine Abbildung davon gesehen. Meyer selbst, bey seiner weitumfassenden Kenntniß, erinnert sich dessen nicht. Dieser Stein ist mir seit 10 Jahren schon bekannt, die Hände, die ihn damals hielten, sind durch Schulden und Tod aufgelöst. Die sehr saubere Fassung deutet auf die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Verzeih, daß ich über diesen mir so werthen Talisman so viele Worte mache.

Gar manches hätte ich noch zu sagen, und ich hätte dich deshalb noch gern gesprochen. Eine Fahrt zu dir will sich jedoch mit meinen Zuständen nicht vereinigen lassen. Nimm daher meine besten Wünsche für dein Wohl, grüße die Deinigen und gedenke mein. [321] Da ich erst etwa in 8 Tagen gehe, so gieb mir noch ein paar freundliche Worte auf den Weg.

Unserer lieben Prinzessin von Mecklenburg empfiel mich schönstens und wünsch ihr Glück zu der Vermehrung der kleinen Familie. Und somit nochmals ein herzliches Lebewohl!

Weimar d. 10. May 1815.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Carl Ludwig von Knebel. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8411-0