16/4764.

An Friedrich Schiller

Wenn ich nicht bey Zeiten schreibe, so unterbreche ich später noch schwerer das Stillschweigen; also will ich nur sagen, daß ich diese Paar Tage vorerst angewendet habe um Antworten und Promemorias in allerley Geschäften los zu werden. Mancherley auf das neue kritische Institut beziehendes, das auf eine wunderliche Weise zu floriren verspricht, hat mich auch beschäftigt. Zunächst brauche ich vielleicht acht und mehr Tage zur Redaction des Programms, über die Kunstausstellung und das Polygnotische Wesen. Ist dieses in Druckers Händen; so will ich sehen, obs nicht möglich ist irgend etwas Erfreuliches zu produciren. Geht es nicht, so werde ich auch deßhalb mich zu trösten wissen.

[355] Recht angenehme Stunden habe ich mit Schelver, Hegel und Fernow zugebracht. Der erste arbeitet, im botanischen Fach, so schön aus was ich fürs Rechte halte, daß ich meinen eignen Ohren und Augen kaum traue, weil ich gewohnt bin, daß jedes Individuum sich, aus närrischer Sucht originaler Anmaßung, vom schlichten Weg fortschreitender Potentiirung, mit fratzenhaften Seitensprüngen, so gern entfernt.

Bey Hegeln ist mir der Gedanke gekommen: ob man ihm nicht, durch das Technische der Redekunst, einen großen Vortheil schaffen könnte. Es ist ein ganz vortrefflicher Mensch; aber es steht seinen Äußerungen gar zu viel entgegen.

Fernow ist, in seiner Art, gar brav, und hat eine so redliche und rechtliche Ansicht der Kunsterscheinungen. Wenn ich mit ihm spreche, so ist mirs immer, als käme ich erst von Rom und fühle mich, zu einiger Beschämung, vornehmer als in der so viele Jahre nun geduldeten Niedertracht nordischer Umgebung, der man sich doch auch mehr oder weniger assimilirt.

Es ist merkwürdig, daß das Historische, das so viel ist, wenn es würdige Gegenstände behandelt, auch etwas an und für sich werden und uns etwas bedeuten kann, wenn der Gegenstand gemein, ja sogar absurd ist.

Doch das deutet von je her auf einen jämmerlichen Zustand, wenn die Form alle Kosten hergeben muß.

[356] Die Herren sind übrigens fort und gehen fort und es fällt niemanden ein, als ob dadurch etwas verloren sey. Man läutet zum Grabe des tüchtigsten Bürgers allenfalls noch die Stadt zusammen und die überbleibende Menge eilt mit dem lebhaften Gefühl nach Hause, daß das löbliche gemeine Wesen vor wie nach bestehen könne, werde und müsse.

Und somit leben Sie wohl, leisten Sie das bessere, in so fern es Ihnen gegönnt ist. Sagen Sie mir etwas von Zeit zu Zeit, ich will mir zum Gesetz machen wenigstens alle acht Tage zu schreiben, um von meinen Zuständen Nachricht zu geben.

Jena am 27. Nov. 1803.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1803. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8427-F