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An Johann Friedrich Cotta

Ew. Hochwohlgeboren

von meiner glücklichen Rückkehr Nachricht zu geben und mich nach Ihrem theuren Befinden zu erkundigen wird mir zur angenehmsten Pflicht. Soviel aber kann [155] ich versichern daß, obgleich mir alles die zehn Wochen meiner Abwesenheit glücklich gelungen, ich doch mich öfters an den Platz Herrn Frommanns gewünscht habe, der das Vergnügen genoß, Sie zu sehen, die wackern Freunde und die trefflichen Kunstwerke in Stuttgart zu begrüßen.

Derselbe hat vielleicht Gelegenheit genommen, Wunsch und Vorsatz mitzutheilen, worin wir beide übereinstimmen und zu dessen Ausführung es nur Ihres Beyfalls bedarf. Ich wünschte nämlich, die Hefte von Kunst und Alterthum sowohl als die anderen, die sich auf organische und allgemeine Natur beziehen, zu sechs Bogen herauszugeben; man könnte immer fortdrucken und die Versendung regelmäßig bewirken, damit meine Sommerreise keine Lücke verursachte und gewisse Aufsätze nicht veralteten, wie es leider manchmal der fall war. Manuscript ist nach Jena und das Übrige wird sich nach Herrn Frommanns Rückkunft finden.

Dieses Geschäft können wir den Winter über gar wohl fördern, und vielleicht kann ich zu Ostern ein begonnenes Manuscript anbieten, zum vierten Bande der ersten Abtheilung Aus meinem Leben geschrieben.

Ich habe sowohl den morphologischen als allgemein wissenschaftlichen Band der ersten Absicht gemäß jeden für sich binden lassen, wodurch das Ganze näher zusammen rückt und mehr Übersicht gewährt. Sollte man diese beiden Bände eben so, brochirt, nicht auch dem Publicum anbieten? die bey einer wahrscheinlichen [156] Zerstreuung der früheren Hefte nach fünf Jahren gewissermaßen in einer neuen und auf diese Gegenstände mehr gerichteten Welt wohl ihre Theilnehmer finden würden.

Auch ist es Ew. Hochwohlgeboren gewiß interessant zu erfahren, daß über meine Farbenlehre diesen Sommer in Berlin öffentliche Vorlesungen gehalten worden, durch Förderniß des Herrn Ministers von Altenstein, welcher ein Zimmer im Akademiegebäude und einen daselbst aufzustellenden Apparat vergönnen mochte. Herr Dr. v. Henning, der die Vorlesungen hielt, hat seine Einleitung dazu schon drucken lassen, woraus denn gar wohl ersichtlich ist, daß er dasjenige vollkommen durchbringt worauf alles ankommt. ein langes Leben begünstigt mich auch hier, daß ich nach dreyßigjähriger Nichtachtung durch eine frische Jugend endlich noch ein bedeutendes und gefährliches Spiel zu gewinnen hoffen darf. Eben so beglückt mich das Wohlwollen des Auslands, wovon ich die schönsten Beweise nach und nach dem Inlande und meinen freunden zeigen darf, daß sie nicht, wie man der Nation gern möchte glauben machen, einem werthlosen Manne unvernünftigen Beyfall gönnen zollten. Ich lege ein Heft bey als Zeugniß, daß sich auch gleichgesinnte Geister finden; können Sie das unschuldige Manuscript auf irgend eine Weise nutzen, so würde es mir um des wackern Verfassers und um mein selbst willen angenehm seyn. Ich mag nicht gern [157] controvertirten, liebe es auch nicht einmal an Freunden, aber seine Überzeugung positiv aussprechen und hinlegen ist doch wohl jeden vergönnt.

Unser abenteuerlicher Quasi-Gil-Blas hat unglücklicherweise ein feinem Lebensgange völlig congruirendes Ende genommen. Einen Theil des Honorars wollte er (was gerade nicht wäre zu schelte gewesen) zu Herstellung seiner eigenen Gesundheit und der Gesundheit eines jammervoll kranken Sohnes anwenden; sonst gewohnt, seine Abenteuer als Fußwanderer zu bestehen, verschafft er sich einen Einspänner und indem er unterwegs in der großen Hitze Fuhrmann, Krankenwärter und selbst kranken Reisenden spielt, überrascht ihn in Töplitz eine Lungenentzündung von der er nicht wieder genes't. Sein Sohn, der in Dresden tödlich krank zurückbleiben mußte, ist erst seit wenig Tagen wieder hier und die Hinterlassenen sind elender, als sie in ihren früheren Zuständen nie hätten werden können. Hiesige freunde und Gönner des Verstorbenen nehmen sich ihrer an, können Ew. Hochwohlgeboren verhältnißmäßig etwas für die armen Leute thun, so wird es überall mit Dank anerkannt seyn.

Sie haben in Kunst und Alterthum gewiß mit eignem Antheil was über die sogenannten Naturdichter gesagt worden gelesen; nächstens mehr von diesen Menschen und von der herrlichen Musengabe, welche den traurigsten Körpermängeln, der Armuth und dem widerwärtigsten Geschick ein Gleichgewicht entgegenzusetzen [158] weiß. Erst neuerlich sind mir solche Wesen begegnet, die man nicht ohne Rührung betrachten kann. Dagegen hab ich von Glück zu sagen, daß eine Gesellschaft von Freunden mir auf's lebhafteste beysteht und das, was ein guter Geist mir früher und später gewährte, zusammen zu halten und zu nutzen hilft. Es ist diesen Sommer in meiner Abwesenheit eine Repositur zusammengestellt worden, worin alles enthalten ist was jemals Gedrucktes und Ungedrucktes von Werken, Schriften, Arbeiten und Vorarbeiten von mir ausging; wo alle Tagebücher zu Haus und in der Fremde, alle Fragmente und, was mehr ist, seit gewissen Jahren sämmtliche an mich erlassene Briefe und die bedeutendsten von mir ausgegangenen in einigen Schränken aufbewahrt sind.

Mit dieser Anordnung und mit einem vollständigen Verzeichniß ward ich bey meiner Rückkehr überrascht, und ich verhandle nun mit meinen älteren und jüngeren Freunden, wie davon Gebrauch zu machen seyn möchte und wie, wenn ich auch abgerufen würde, doch nichts verloren seyn dürfte. Von allem nähere Kenntniß zu geben mir zunächst vorbehaltend.

Ein Theil des Winters wird auf alle Fälle diesem Geschäft gewidmet, welches wir auf einen hohen Grad von Vollständigkeit und Sicherheit zu bringen gedenken. Ohne daß ich Nahmen ausspreche, ist vorauszusetzen, daß Hofrath Meyer und Professor Riemer, die vieljährigen Mitarbeiter, mir immer zur Seite sind.

[159] Der Wunsch fortdauernd-welchselseitiger Theilnahme entschuldigt wohl die Umständlichkeit gegenwärtigen Schreibens.

gehorsamst

Weimar den 8. September 1822.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Johann Friedrich Cotta. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8444-D