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An Ottilie von Goethe

Wenn ich auch, meine liebe Ottilie, diese ganze Zeit her nicht an dich gedacht hätte, welches doch oft genug bey manchem guten Ereigniß geschah; so hättest du doch gestern an deines Königs Geburtstag mir immer gegenwärtig seyn müssen; wie du denn auch von Morgens bis Abends und zwar in der besten liebenswürdigsten Gesellschaft bey mir warst.

Nun vernimm aber, wie hoch man den König verehrt, indem sein Fest nicht schlechtweg nur einmal, sondern dreyfach gefeyert worden, und zwar deshalb, weil seine Verehrer über die Art und Weise sich nicht vereinigen konnten.

Ernste bedeutende Männer beschlossen sogleich eine ansehnliche Summe zum Stiftungs-Capital des neuen Hospitals anzufügen; andere, mehr weltlich gesinnt, wozu auch Rehbein sich gesellte, gaben einen großen Schmaus im neuen Traiteur-Hause. Das Schönste kam aber doch hier oben bey uns zu Stande, wo ein Tanzthee von Herren und Damen zahlreich besucht ward. Es ist wahr, man trank Thee und tanzte; allein später ward ein kaltes Abendessen an kleinen Tischen aufgestellt, köstlich bereitet und mit gutem Wein geschmückt, da denn zuletzt der König, unter dem Schall der Champangnerpfröpfe, dreymal hoch lebte, wozu die lärmenden Trompeten den Ausschlag gaben.

[148] Ich gelangte erst um Mitternacht zu Hause, woraus du errathen wirst, daß außer Tanz, Thee, Abendessen und Champagner, wovon ich nichts mitgenoß, sich noch ein Fünftes müsse eingemischt haben, welches auf mich seine Wirkung nicht verfehlte. Der Tanz war anmuthig und wohlbelebt; prächtige, zierliche, niedliche Tänzerinnen mehrerer Nationen thaten sich hervor, dich hatte ich wohl zu einer sehr artigen Polin gesellen mögen.

Überhaupt trifft dießmal so vieles zusammen, daß du dich auch ganz wohl gefunden hättest. Des Großherzogs Anwesenheit gibt unserer Terasse entschiedene Bedeutung; hier oben wohnen meist nur Freunde des Hauses, und so ist man immer in guter und ansehnlicher Gesellschaft. Für den Fürsten fand sich einiges Anziehende, der Herzog von Leuchtenberg nahm keinen Anstand sich auch etwas Hübsches auszusuchen; und wenn der Graf St. Leu besser auf den Füßen wäre, so, dächt ich, könnte auch ihn das allgemeine Schicksal der Bezauberung hinreißen, welche sogar unsern Nachbar v. Helldorf ergriffen.

Zum völligen Schluß dürfte noch eine Verlobung statt finden; die Braut wäre hübsch und reich genug, der Bräutigam nicht von den Schlimmsten; dem ich das doppelte Glück gerne gönnen wollte.

Hiermit bin ich also am Ende meiner Comödie, die sich wenigstens auf eine befriedigende Weise nach altem herkommen abzuschließen trachtet. Lebe wohl,[149] schreibe mir bald mit ähnlicher Confidenz. Ich habe nicht Lust zunächst von hier wegzugehen; schöne Wohnung, die beste Nachbarschaft und; seit einiger Zeit das herrlichste Wetter. Von meinem Befinden will ich nichts sagen; aus Vorstehendem erhellt, daß meine Gebrechen mich wenigstens nicht hindern vergnügt, ja beynahe glücklich zu seyn. Grüße Ulriken, deren Name als vorzüglichstes Ingredienz dieser Zustände sich täglich beweist. Küsse die Kinder und wiederhole die Zusage von vielen Pfeffernüssen. Der Gemahl wird sich reisefertig halten, denn wie ich nach Hause komme, mag er sich denn auch einmal auf seine Weise in der lieben Welt umsehn. Alles Gute mit euch.

Der treue Apapa.

Marienbad den 4. August 1823.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Ottilie von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8459-0