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An Christiane Vulpius

Carlsbad Montag den 28. Juli 1806.

Schon vorgestern kam dein lieber Brief vom 22. hier an und war also nur vier Tage unterwegs gewesen. Ich schreibe heute zum vorletzten mal und heute über acht Tage wahrscheinlich zum letztenmal. Denn ich hoffe, daß unser Wagen richtig eintreffen soll. Es ist mir auch diese letzte Zeit ganz wohl gegangen und ich wünschte nur, daß ich mich eingerichtet hätte, länger hier zu bleiben, um ein 14 Tage weder zu trinken, noch zu baden, auf meine Natur Acht zu geben und doch in der Nähe der heilsamen Quelle zu seyn, wenn sich irgend ein Übel melden sollte. Doch kann das auf künftiges Jahr geschehen und wir wollen hoffen, daß wir indessen so durchkommen. Die Hauptsache, wie ich recht wohl bemerke, bleibt immer die Bewegung und wenn ich sie die nächsten acht Wochen auf eine oder die andre Weise fortsetze, so wird es wohl ganz gut werden. Daß du dich lustig machst, ist mir sehr angenehm und ich erwarte, daß du mir recht viel erzählst, wenn wir zusammenkommen. Hier geht im Ganzen alles steifer, als jemals zu, ob ich mich gleich persönlich keinesweges zu beklagen habe: denn es hinge nur von mir ab, meine Bekanntschaften und Gesellschaften viel weiter auszudehnen. Gestern begegneten mir ganz unerwartet Frau von Brösigke und [165] ihre Tochter, die von Egerbrunn herüberkamen, wo es auch nicht zum heitersten hergehen soll, weil die Österreicher und Polen zwey Partheyen machen, die gegeneinander wirken, beyde aber weder einen Sachsen noch einen Preußen unter sich aufnehmen. Frau von Levezow ist reizender und angenehmer als jemals. Ich bin eine Stunde mit ihr spazieren gegangen und konnte mich kaum von ihr losmachen, so artig war sie und soviel wußte sie zu schwatzen und zu erzählen.

Täglich kommen hier noch mehr Badegäste an. Die Nummern der Liste gehen schon bis 700. In diesen Tagen war das Papiergeld so gefallen, daß der Ducaten 8 Gulden und 30 Kreuzer galt, und das Silbergeld im Verhältniß. Gegenwärtig ist es wieder ein wenig gestiegen. Demungeachtet aber sind die Einwohner von Carlsbad, welche für alle ihre Mühe, Waaren und Auslagen fast nichts anders eingenommen haben, in einer Sorge, die ganz nahe an Verzweiflung gränzt. Was daraus werden soll, kann kein Mensch einsehen. Vorgestern bin ich auch in der Comödie gewesen und werde wohl nicht wieder hineingehen. Selbst diejenigen Schauspieler, die noch einige Gestalt und Stimme haben, zeigen sich fratzenhaft, affectirt und comödi antisch. Ich kann wohl sagen, daß ich in dem ganzen Stück nicht einen einzigen wahren Ton gehört habe. Die Weiber sind vollends ganz abscheulich. Eine einzige ist darunter, [166] die Verdienst hat. Sie spielt die Rollen der Beck, ist aber doch auch übertrieben und in ihrem Betragen geschmacklos wie die andern. Doch wäre diese noch wohl am ersten ins Rechte zu leiten, wenn sie eine gute Umgebung hätte. Das Stück, das ich sah, war Pinto, von Vogel bearbeitet. Grüße die Herren Genast und Becker und sage ihnen , sie möchten doch nachfragen, ob das Stück gedruckt ist, und sich Mühe geben, es bald beyzuschaffen. Wir können es sehr gut besetzen und kann bey uns eine sehr interessante Repräsentation werden. Gethan habe ich übrigens nicht viel, denn der Brunnen und die Zerstreuung des hiesigen Lebens lassen einen nicht recht zur Fassung kommen. Übrigens bleibt es im ganzen bey dem, was ich in meinem vorigen Briefe geschrieben habe. Bleibe nur in Lauchstädt, bis du einen Brief von mir aus Jena erhältst: denn erst dort wird sich zeigen, ob ich noch nach Lauchstädt gehen kann und mag. Grüße alles schönstens von mir, Herrn Geheimerath Wolf und Minchen, Herrn und Frau Geheimerath Loder und alle, die sonst meiner gedenken mögen, so wie das Theater-Personal, besonders die, welche dir zunächst sind. Lebe übrigens recht wohl bey deinen Frühstücken, Mittagsessen, Tänzen und Schauspielen.

G. [167]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1806. An Christiane Vulpius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8468-0