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An Charlotte von Stein

Sie haben mir durch den Boten eine grose Freude geschickt, schon furcht ich, heut und Morgen nichts von Ihnen zu hören, und so kam mir das Gute unvermuthet. Es ist mir zu wider daß mein Brief versteckt geblieben, und daß die andern Sie so spät auffinden; gerne wollt ich daß Sie so bald als möglich mein Andencken erhielten. Ihr Bote ist recht frisch gegangen, er war schon vor sechs heut Abend hier.

Unsre arme schöne Wirthinn ist kranck, und trägts wie Frauen zu tragen gewohnt sind. Heute früh hatten wir einen langen politischen Diskurs; auch diese Dinge sieht sie gar schön, natürlich und wie ihres gleichen. Sie liebt den Herzog schöner als er sie. und in diesem Spiegel hab ich mich beschaut und erkannt daß auch Sie mich schöner lieben als wir gewöhnlich können. Doch ich geb es nicht auf ich fühle mich zum Streit aufgefordert, und ich bitte die Grazien daß sie meiner Leidenschafft die innre Güte geben und erhalten mögen aus der allein die Schönheit entspringt.

Behalten Sie ia was Sie mir gutes zu sagen haben, auch mir haben die Geister der Welt viel nüzliches in's Ohr geraunt, haben mir über mich und andre schöne Eröffnungen gethan.

Donnerstags Abends hoff ich Sie allein zu finden,[79] hoffe die ersten Stunden ganz bey Ihnen zu seyn. Freytags wollen wir zusammen essen und fröhlig seyn.

Heut ist wenig gezeichnet worden gestern gar nichts, kaum werd ich eine Landschafft fertig bringen die ich hier lasse. Was gehen mir über den Ewerdingen für neue Lichter auf, warum muß man so lang im Dunckeln tappen und in der Dämmrung schleichen.

Meine Seele ist fest an die deine angewachsen, ich mag keine Worte machen, du weist daß ich von dir unzertrennlich bin und daß weder hohes noch tiefes mich zu scheiden vermag. Ich wollte daß es irgend ein Gelübde oder Sakrament gäbe, das mich dir auch sichtlich und gesezlich zu eigen machte, wie werth sollte es mir seyn. Und mein Noviziat war doch lang genug um sich zu bedencken. Adieu. Ich kan nicht mehr Sie schreiben wie ich eine ganze Zeit nicht du sagen konnte.

Der Bote verspricht beyzeiten in Weimar zu seyn. In zwey Tagen folg ich ihm. Wo möglich kriegst du noch einen Brief eh ich komme.

Noch etwas von meiner Reiseandacht. – Die Juden haben Schnüre mit denen sie die Arme beym Gebet umwickeln, so wickle ich dein holdes Band um den Arm wenn ich an dich mein Gebet richte, und deiner Güte Weisheit, Mäsigkeit und Geduld theilhafft zu werden wünsche. Ich bitte dich fusfällig vollende dein Werck, mache mich recht gut! du kannsts, nicht nur wenn du mich liebst, sondern deine Gewalt wird [80] unendlich vermehrt wenn du glaubst daß ich dich liebe. Lebe wohl.

Ich hoffe immer daß du wohl seyst. Leb wohl. Mir fällt eins aufs andre ein. Leb wohl, ich kan. nicht von dir kommen wenn nicht des Blättgens Ende wie zu Hause die Thüre mich von dir schiede. [Neunheiligen] d. 12. März Montags um halb 11 Nachts. 81.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-846A-C