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An Charlotte von Stein

Rom d. 6. Jan. 87.

Eben komme ich von Moritz dessen zerbrochner Arm heute aufgebunden worden. Es geht und steht recht gut. Was ich diese 40 Tage bey diesem Leidenden, als Beichtvater und Vertrauter, als Finanzminister und geh. Sekretair pp gelernt, soll auch dir, hoff ich, in der Folge zu Gute kommen.

Heute früh erhielt ich deinen bitter süßen Brief von 18ten Dec. Unsre Correspondenz geht gut und [115] regelmäßig, daß sie nun nicht wieder unterbrochen werde solang wir leben.

Ich kann zu den Schmerzen die ich dir verursacht nichts sagen als: vergib! Ich verstocke mein Herz nicht, und bin bereit alles dahin zu geben, um gesund zu werden für mich und die meinigen. Vor allen Dingen soll ein ganz reines Vertrauen, eine immer gleiche Offenheit mich aufs neue mit dir verbinden.

In einem vorigen Briefe, schrieb ich meine Reisevorsätze, in einem Anhang zu diesem, eröffne ich dir einige neue Ideen und Zweifel. überlege sie mit Herders, bringe sie für den Herzog und die Herzoginn und laß mich besonders auch die Gedancken der letzten wißen, denn der Herzog wird mich nur im Notfall zurück berufen, es gibt aber soviel mittlere Fälle.

Schon habe ich viel in meinem Innren gewonnen, schon habe ich viele Ideen auf denen ich fest hielt, die mich und andre unglücklich machten hingegeben und bin um vieles freyer. Täglich werf ich eine neue Schaale ab und hoffe als ein Mensch wiederzukehren. Hilf mir aber nun auch, und komme mir mit deiner Liebe entgegen, schreibe mir wieder von deinem Schreibtische und gedencke göttlich des vergangnen nicht, wenn du dich auch dessen erinnerst. Ich habe in der Welt nichts zu suchen als das Gefundne, nur daß ichs genießen lerne, das ist alles warum ich mich hier noch mehr hämmern und bearbeiten laße.

[116] Mit meinem Tagebuch wenn es ankommt mache was du willst, eben so mit den ostensiblen Blättern, und den Stellen meiner Briefe an dich. Gieb davon zu genießen wem und wie du willst, mein Verbot schreibt sich noch aus den stockenden Zeiten her, mögen die doch nie wieder kehren.

Meine Iphigenie ist fertig und ich kann mich noch von ihr nicht schreiben, besonders da Herder in einem Brief vom 11. Dec. noch nicht auf Manuscript dringt, noch nichts schreibt von den zwey ersten Bänden und wieweit der Druck gekommen ist.

Seit gestern hab ich einen kolossalen Junokopf in dem Zimmer oder vielmehr nur den Vordertheil, die Maske davon. Es war dieser meine erste Liebschafft in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch. Stünd ich nur schon mit dir davor. Ich werde ihn gewiß nach Deutschland schaffen und wie wollen wir uns einer solchen Gegenwart erfreuen.

Keine Worte geben eine Ahndung davon, er ist wie ein Gesang Homers.

Des Herzogs Fall hat mich sehr erschüttert, ich fürchte er endigt noch so. Wollte Gott er könnte sich auch einmal von diesen unglücklichen Ideen rein baden und waschen, und sich und den Seinigen wiedergegeben werden.

Schreibe mir doch ja von seinem Befinden! dancke ihm für seinen Brief und grüße ihn aufs beste. Nächsten Posttag schreib ich ihm. So auch Herders.

[117] Heute hab ich, als am 3 Königsfeste, die Messe nach grichischem Ritus lesen und agiren sehn und hören. Sage dies Herdern. Die Cärimonien sind, oder scheinen mir vielmehr, theatralischer, pedantischer, nachdencklicher und doch populärer als die lateinischen. Davon mündlich das ausführliche. Durch eine besondere Gunst kam ich ins Sancktuarium zu stehn und sah das Spiel von innen.

Auch da hab ich wieder gesehn, daß ich für alles zu alt bin nur fürs Wahre nicht. Ihre Cärimonien, und Opern, Umgänge und Ballette, es fliest wie Waßer an einem Wachstuch ab. Eine Würckung der Natur, ein Werck der Kunst wie die viel verehrte Juno machen allein tiefen und bleibenden Eindruck.

Lebe wohl. Wenn ihr Lieben beschließt daß ich nach Ostern von Rom zurückkehren soll; so darf mir nach dem Schluße des Februars nicht viel mehr geschrieben werden, höchstens noch einen Posttag. Wollt ihr mich noch hier wissen; so erfreue mich ja immer fort mit Briefen. Ich gehe das Carneval nicht nach Napel. Ich bleibe hier und nutze die Zeit. Der März ist dort schon sehr anmuthig, und jene herrliche Natur soll mich dann erfreuen. Grüße alles.

Der deine.

G. [118]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-846E-4