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An Johann Heinrich Meyer

Weimar den 18. April. 96.

Seit meinem letzen Brief, abgesandt Jena den 9. März, habe ich zwey Briefe von Ihnen erhalten, davon der eine mit Nr. 8 bezeichnet, der andere vom 19. März datirt war. Auf beyde habe ich Ihnen verschiedenes zu erwiedern, wenn ich Ihnen vorher von unserm Theatralischen Jubiläum werde erzählt haben.

[52] Iffland spielt schon seit drey Wochen hier, und durch ihn wird der gleichsam verlorne Begriff von dramatischer Kunst wieder lebendig, es ist das an ihm zu rühmen was einen ächten Künstler eigentlich bezeichnet: er sondert seine Rollen so von einander ab, daß in der folgenden kein Zug von der vorhergehenden erscheint. Dieses Absondern ist der Grund von allem übrigen, eine jede Figur erhält durch diesen scharfen Umriß ihren Charakter, und eben so wie es dadurch dem Schauspieler gelingt bey der einen Rolle die andere völlig vergessen zu machen, so gelingt es ihm auch sich von seiner eigenen Individualität, so oft er will, zu separiren und sie nur da, wo ihn die Nachahmung verläßt, bey gemüthlichen, herzlichen und würdigen Stellen hervortreten zu lassen. Der Vortheil durch die schwächsten Nuancen bedeutend und mannigfaltig zu werden, liegt auch gleich zur Hand, und alles übrige was zur Erscheinung kommt entspringt aus dieser tiefen Quelle. Er hat eine große Gewandtheit seines Körpers und ist Herr über alle seine Organe, deren Unvollkommenheiten er zu verbergen, ja sogar zu benutzen weiß.

Die große Fähigkeit seines Geistes auf die Eigenheiten der Menschen aufzumerken und sie in ihren charakteristischen Zügen wieder darzustellen, erregt Bewunderung, so wie die Weite seiner Vorstellungskraft, und die Geschmeidigkeit seiner Darstellungsgabe.

Schließlich aber, so wie anfänglich, ist mir der[53] große Verstand bewunderungswerth, durch den er die einzelnen Kennzeichen des charakteristischen auffaßt und so zusammenstellt, daß sie ein, von allen andern unterschiedenes Ganze ausmachen.

Er wird noch eine Woche bleiben und zuletzt Egmont aufführen. Schiller, der auch schon diese Zeit hier ist, hat das Stück dergestalt bearbeitet, daß die Vorstellung möglich wird. Es freut mich sehr, daß ich vor unserer großen Expedition, wo wir doch auch manches Theater sehen werden, einen solchen Mann, als Typus, wornach man das übrige beurtheilen kann, mit den Augen des Geistes und Leibes gesehen habe.

Nun zu Ihren Briefen! Da Sie Anfang des May nach Neapel zu gehen gedenken, so wird der beyliegende Brief von der Herzogin an Heigelein Ihnen wohl den nöthigen Paß verschaffen, wenn Sie ihn nicht etwa schon, wie ich vermuthen kann, durch Ihre Römischen Gönner und Freunde erlangt haben. Ich lege auch einen Brief an Hackert bey, den Sie nach Gutbefinden überschicken oder überbringen können.

Das unendliche unserer Unternehmung macht mir manchmal bange, doch öfters giebt mir's Freunde und Zutrauen, da man in dem hohen Grade vorbereitet ist, so weiß man wenigstens alles zudringende geschwind aufzufassen und zurecht zu stellen. Schon bemerk ich es beym Lesen Italienischer Bücher, wie sehr sich alles wiederholt und auf einander hindeutet. Die Bearbeitung des Cellini in der ich schon ziemlich weit [54] vorgerückt bin, ist für mich, der ich ohne unmittelbares Anschauen gar nichts begreife, vom größten Nutzen, ich sehe das ganze Jahrhundert viel deutlicher durch die Augen dieses confusen Individui als im Vortrage des klärsten Geschichtschreibers. Sollte Ihnen irgend etwas von dieser Art ferner aufstoßen; so haben Sie ja besondere Acht darauf.

Das Winklerische Kabinet ist nach dem Tode des Besitzers feil. Der Herzog hat Lust etwas daraus zu kaufen, ich wünsche daß die Wahl aufs Beste fallen möge.

Zu der Vollendung Ihrer Copie wünsche ich Glück! Sagen Sie mir doch, wie groß das Bild und die Figuren des Originals sind, und in welcher Größe Sie es copirt haben?

Ich bin toll Verlangen dieses merkwürdige Werk von Ihrer Hand zu sehen. Dem Freund der Geschmäcke in Dresden glückt es, daß diejenigen, die dem Kindlein nach dem Leben strebten, über die Alpen gezogen sind, denn er ist vor kurzem mit einer Rezension in der Litteraturzeitung beseeligt worden, die denn freylich auf einige Jahre hinaus wirken und die deutsche Bereitwilligkeit ihr Geld für nichts hinzugeben, noch vermehren kann. Wenn sie Ihnen zu Gesichte kömmt, werden Sie den Verfasser an den Katzenbuckeln und spanischen Reverenzen nicht verkennen, so wenig als an dem antiquarischen Nota bene womit sich die Lobeserhebung schließt. Es bleibt also vor dießmal [55] nichts übrig als das Unkraut noch einige Zeit wachsen zu lassen, bis das Schreckensystem gegen alle die Pfuschereyen mit Nachdruck durchgesetzt werden kann.

So eben erhalte ich Ihren Brief Nr. 10 und will nur geschwind schließen, damit dieses Blatt noch heute abgehen kann. Was Sie mir von der Aldobrandinischen Hochzeit sagen, giebt mir auf einmal einen Begriff von diesem wichtigen Werke: fahren Sie in allen Ihren Wesen und Arbeiten nur immer nach Ihrer eigensten Überzeugung fort, und alles wird zum besten gehen.

Die confuse Kennerschaft der Liebhaber, die doch aus der Reise für ihr Geld, wie die Zuschauer in der Komödie, auch mitklatschen oder zischen wollen, bitte ich ja in ihren Details zu merken, damit sie künftig, unter Rubriken gebracht, entweder Stoff zu einem Kapitel oder zu einer Epistel liefern; alles ist uns werth und wichtig zu beobachten, das was und hindert, so gut als was uns fördert. Ich habe mit Schiller über die Art, wie unser Feldzug zu eröffnen und zu führen seyn möchte, eine umständliche Conferenz gehabt.

Die Angelegenheit mit Heigelin, wegen des Gemähldes, ist auf dem Wege abgethan zu werden, man ist überhaupt gegen ihn noch in einem kleinen Reste, Ludekus hat an ihn geschrieben, um seine Rechnung zu verlangen und ist alsdann geneigt alles auf Einmal zu bezahlen. Was ich von Heigelins Antwort [56] höre, und von dem Fortgang der Sache erfahre, schreibe ich gleich.

Das Recept zu Glaspasten erbitte ich mir aufs baldigste, damit ich erfahre wie die Abdrücke am schicklichsten zu machen sind, denn ich werde denn doch vor meiner Abreise der Fürstin die Sammlung zurückgeben. – Den Brief an Hackert schicke nächstens und lege sodann auch einen an Angelika bey.

Bertuch verspricht mir nach der Messe eine Anweisung auf etwas Geld nach Neapel die ich dann sogleich senden will.

Leben Sie recht wohl. Ich endige nur meinen Roman, dann mach ich mich auf.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-848B-2