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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Auf Ihr liebes und ausführliches Schreiben, mein Bester, welches mich in Marienbad heimsuchte, sey nun sogleich nach meiner Rückkehr chronologisch geantwortet.

Donnerstag den 26. Juli ging ich von Weimar ab und langte den 29. zu Mittag in Marienbad an; dort verlebte ich, bis den 19. August, drey volle Wochen unter anhaltendem Regenwetter, dessen Bitterkeit [96] ich zu überwinden trachtete durch eben so anhaltenden Fleiß. Erleichtert wurde mir dieß durch herrlich-bequeme Wohnung in einem großen Hause, wo es an allen leiblichen Bedürfnissen von Morgen bis in die Nacht nicht fehlte, auch nicht an guter, froher, geselliger Unterhaltung.

Am 20. August, dem ersten vollkommen heitern Tag, bewegte mich sogleich vom Gebirg herab in's Land, die Physiognomie dem Pilsner Kreis abzugewinnen. Den 21. war ich mit großer Gesellschaft bey dem Prälaten in dem Stifte Töpel, wo ich, auf verschiedenem Hin- und Herweg, mir die Eigenheiten des Landes abermals besah und den specifischen Zustand eines solchen insulirten Prälaten innerhalb sei nes Kreises kennen lernte, des Mannes, der uns, als oberster Badeherr, in Marienbad bisher Sonntags besucht hatte.

Sonntag den 26. August traf ich in Eger ein, nahm eine höchst freundliche Einladung des Grafen Auersperg nach Hartenberg an; ein wundersames Waldschloß an der Zwotau, im Gebirge, einige Stunden über der Poststation dieses Mannes. Dort verlebte ich eine sehr anmuthige Feier meines Geburtstags, und fand einen Mann, den man hätte kennen sollen.

Vom 30. blieb ich bis zum 13. September in der Stadt Eger, wo Polizeirath Grüner, ein sehr vorzüglicher Mann, mich, so wie erst nach Hartenberg, [97] nun in der Gegend, meistens auf mineralogischen Ausflügen, begleitete.

Eben war ich im Begriff, nach Carlsbad auf einige Tage zu gehen, als die gräßlichen Meldungen von der Wasserfluth, die am 9. September, in die dortige Schlucht eindringend, alle Brücken und Stege zerstörend, in Boutiken und Läden des untersten Geschosses bis auf 8 Fuß steigend, Häuser sogar nicht verschonend, ein grimmiges Unheil anrichtete, das mir zu denken schon feindlich ist, mit Augen zu sehen aber ganz unerträglich wäre.

Nun bin ich seit Sonnabend den 15. wieder in Jena, in derselben morschen Schindelhütte, wo wir doch wiederholt so schöner Tage genossen, bringe meine Geschäfte, die Sie kennen, vor Winters in Ordnung und leide, nach wie vor, an dem cimmerischen Nebel-Regen-Wetter, welches mir die Berge gegen meinen Fenster über verhüllt und verdüstert.

Diese Äußerlichkeiten aber zum Trutz werden aufgehäufte Papiere geordnet und redigirt, ferner zwey neue Hefte meiner Zeitschriften in den Druck gegeben, und so wollen wir abwarten, ob nun noch trockne, wenn auch nicht heitere Tage uns vor Winters zu Hülfe kommen.

Schubarth war in Berlin, und ist wahrscheinlich wieder da; es wird Sie wie mich freuen, dieses affirmirende Individuum kennen zu lernen. Sein Büchlein über Homer, wovon er mir die Aushängebogen[98] schickte, setzt mich in Erstaunen, man mag es nehmen, wie man will! aber es ist eine Ilias post Homerum, im allerbesten Sinne; der alte Herr, oder die alten Herrn, wem wir auch das Gedicht verdanken, würden selbst Freude daran haben.

So liegt denn nun auch zuletzt ein Reimgedicht bey, welches jenen guten Kunstjüngern zur Empfehlung mitgiftete. Sie werden alles herauslesen, was ich hineingesonnen habe; was will man zu solchen dingen sagen? Wären es eigentlich Künstler, so hätten sie die dinge um- und umgekehrt; nun aber bleiben sie alle mit mäßiger Technik hinter den Gedanken zurück, ja selbst hinter den klaren Intentionen. Das muß man denn gehen lassen, wie so manche andere Überlieferung; es ist immer etwas, was es auch sey.

treulichst

Jena den 24. September 1821.

G.


Und so darf ich wohl vor allen Dingen sagen, daß Ihnen immer auf der Spur blieb; mich betrübte nur, in Nenndorf nie gewesen zu seyn, weshalb ich Ihre Umgebung nicht denken, nicht Schritt für Schritt folgen konnte. Das regnerische Unheil des Jahres ward mir deshalb noch düsterer, weil ich Sie, in einer unbekannten Gegend, eben darin verwickelt imaginirte.

Wie es mir ergangen, meldet ein besonderes Blatt; nun aber erfreue mich zuvörderst, daß auch Sie, das Banner der Verzweiflung aufsteckend, die allerliebsten [99] Paragraphen gewonnen haben. Möchten Sie doch in diesem Sinne sich weiter aussprechen! Bedenken Sie, daß sonst alles zusammen verloren geht. Niemand will und kann aufnehmen, was der andere begonnen hat. Nicht ein leidiger Egoismus liegt allein zum Grund, die Abgeschlossenheit ist es, die einen jeden umzirkt; das Individuum muß sich selbst aussprechen, niemand kommt ihm zu Hülfe. Da kenn ich denn aber auch sie Unentschlossenheit sehr gut, die nicht gerne sagen möchte; es ist zwar nicht fertig, aber es ist genug.

Mir wär nun aber auf meinem wissenschaftlichen Wege auch zum höchsten Gewinn, wenn Sie sich gerade jetzt entschlössen, das phosphorische Licht, was in Ihnen so herrlich waltet, auch nach außen leuchten zu lassen; denn in meinem nächsten Heft Zur Naturwissenschaft nehm ich die Chromatik wieder auf, indem ich ältere Aufsätze, Confessionen, Erläuterungen, Streitfragen sogar mancher Art, die bey mir, seit Jahren, nicht nur skizzirt, sondern wirklich ausgeführt, nieder- und bey Seite gelegt waren, ohne weiteres abdrucken lasse; wobey ich Ihrer Arbeiten nothwendig gedenken muß, als welche vor meine Anfänge hinaus gegangen sind, und erst meine Urwelt constituiren.

Auch kann ich vertrauen, daß mir das sicherste Kennzeichen zur Hand ist: im Buchhandel sey Nachfrage nach der Farbenlehre; denn ich verwahre die Tafeln, lasse sie abdrucken und illuminiren, und nun[100] sind mit einer gewissen Haft 50 Exemplare zu Michael bestellt worden. Lassen Sie uns das Eisen schmieden, da es heiß zu werden scheint, und entziehen Sie dem löblichen Handwerk ihren Hammer nicht.

Gedachtes Heft muß überhaupt wunderlich werden; denn ich denke, nach allen Seiten, aus den Mauern Warte-Steine genug hervorragen zu lassen, die für mich oder andere auf's Fernere deuten.

Sechs Wochen unter fremden Menschen haben mir viel verliehen; hätten wir gut Wetter gehabt, so wäre der Gewinn unschätzbar gewesen.

Von Kunst habe eine Form einer wohlerhaltenen fisicalischen Goldmünze 30 Ducaten schwer mitgebracht, das Bild der Kore (Proserpina) mit drey Delphinen auf einer, ein Viergespann auf der andern Seite. Großfürst Michael hatte sie auf seiner Reise angeschafft, deshalb er zu beneiden ist, was er auch dafür bezahlt haben mag. Einen Gipsguß sende.

Gestein ist gränzenlos geklopft und transportirt worden, und erfreut nun, auf Repositorien geordnet.

Junge Künstler, die nicht recht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen, und, auf ein oder die andere Weise, etwas gewinnen möchten, radiren Landschaften nach meinen Skizzen. Sie sind freylich nicht ganz im Falle, das Künstlerische zu ersetzen, was mir gerade von jeher abging; doch kommen wunderliche Dinge zum Vorschein und Motive, an die ich selbst nicht mehr dachte, als sie sich solche, mit Liebe und Glauben, [101] aus meinen Papieren herausgesucht hatten. Ein Paar leg ich bey und sende vielleicht bald ein Heft, so unbefriedigend es auch seyn mag; das Skizzenhafte wenigstens haben sie nicht verfehlt, und nicht leicht wird eine Phrase darin zu finden seyn.

Zugleich will ich denn auch für den charmanten Aldegrever danken; ich kannte das Blatt, aber besaß es nicht.

Nehmen Sie ferner ein kleines Heft, das zu mancherlei Betrachtungen Anlaß gibt; die ersten 16 Seiten sind von mir, redigirt wenigstens. Gelegenheit sind mir unwiderstehlich, und ich konnte dieß aus dem Stegreif nicht versagen; der zweyte Bogen ist mehr überlegt und gearbeitet. Unsere jungen Männer überhaupt haben reden gelernt. Sie werden das Ganze nicht ohne Interesse lesen; dergleichen gibt immer vielerlei zu denken.

treulichst

Jena den 24. September 1821.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8504-6