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An Ernst Wolfgang Behrisch
Leipzig d. 2 Nov. 67.
Daß du vom Sonnabend keinen Brief empfingst, wird dich gewundert haben, ohne wichtige Ursachen unterlasse ich es gewiss nie; aber es war auch eine wichtige Ursache, eine mit der wichtigsten, dem Halsbrechen so verwandte, kurz ich binn vom Pferde gestürzt, oder eigentlicher, ich habe mich vom Pferde gestürzt, da es mit mir, einem sehr ungeschickten Reuter durchging, um es nicht etwa zu einem Schleifen, oder sonstigem Stürzen kommen zu lassen. Das ist ein Paragraf in dem die Figur meines Gehirns modelirt ist, verwirrt, und unzusammenhängend. Es ist eine betäubende Sache um ein großes unverhoftes Glück. Dieses, daß ich nicht den Hals gebrochen habe hat mich glaub ich so im Kopfe schwindelnd gemacht. Aber, Gott sey Danck, ich habe mir keinen Schaden gethan, denn du kannst wohl rahten, das ich ein aufgestoßnes Kinn, eine zerschlagne Lippe, und ein geschellertes Auge nicht unter die großen Schäden rechne. So lange sich mein Mädgen nicht über die Verunzierung dieses Gesichts beschweert, so lang hats gute Weege. Wenn du diese Geschichte auf eine lächerliche Weisse erzält haben willst so laß sie dir von Hornen erzälen. Was aber das allercomischte ist, [126] ist, daß er im Anfang der erschrockenste und beängstigste war.
Das ist ein trauriger Brief, ein rechter ängstlicher Ton gegen meine launischen, närrischen Briefe. So ist's. Eine Wetterfahne die sich dreht, immer dreht, und seit einiger Zeit da der Wind meist aus Norden kömmt sich weniger dreht, aber doch immer so, daß gerne die Welt aus der Jahrszeit hinaus seyn möchte – Aber Gott versteht mich.
Meine Liebe laßt dich grüssen, ich liebe sie immer wie steets, sie mich? Ich glaub's einsweilen. Ich lebe nach deiner Vorschrifft so diät, als ein ängstlicher Junger Mensch auf Befehl seines Docktors bey gewissen Vorfallenheiten. Seit dem verfluchten Abend, da wir Schnupftuchsdeserts hatten, habe ich keinen bei ihr zugebracht.
So leb ich, fast ohne Mädgen, fast ohne Freund, halb elend; noch einen Schritt und ich binns ganz.
Liebe ist Jammer, aber ieder Jammer wird Wollust, wenn wir seine klemmende, stechende Empfindung die unser Herz ängstigt durch Klagen lindern, und zu einem sanften Kützel verwandlen; ach da geht keine Wollust über den Jammer der Liebe, wenn ein Freund unser Elend hört unsre Tränen sieht, und das was wir davon zu viel haben, gottgleich wegnimmt, und durch Mittleid unsere Wunde heilt; es ist auch Wollust das Jücken einer erst zugeheilten Wunde. Aber kein Krancker kann durch eines unempfindlichen Artztes [127] grausames: es hat nicht viel zu sagen, mehr geängstigt werden, als ein Seelenkrancker durch einen gefühllosen Freund. Ein zurücktretendes Ubel ist das gefährlichste, und es muß zurücktreten, für Schrecken zurücktreten; wenn der Krancke eine warme, sanfte Hand zu fassen hofft und eine kalte, kalte zu fassen kriegt. O das sind Allegorien. Die Einbildungskraft gefällt sich in dem weiten geheimnißvollen Felde der Bilder herumzuschweifen, und da Ausdrücke zu suchen, wenn Wahrheit den nächsten Weg nicht gehen darf oder nicht gerne gehen möchte. Du verstehst mich. Noch einige Sentenzen und du wirst mich ganz verstehn. Treue ist nicht das einzige Erforderniß zu einem Freude. Warum wären Freunde so selten? Einen treuen Freund gefunden haben, heißt einen ehrlichen Mann gefunden haben, und die giebts, sage der Misantrope was er will. Aber Empfindung, ist kein Werck groser, guter Grundsätze, herbey hat sie keiner philosphiert, hinweg die meisten. Sie ist keine Würckung eines guten Herzens, ein Herz kann rechtschaffen fühlen, und doch kalt seyn. Wer einem kalten Herzen warmes Elend vertraut, ist ein Tohr, wie ein Liebhaber, der am Bache ins Schilf klagt, das ihn, statt ihn zu bedauern auszischt.
Siehst du das meyn' ich, und wollte Auerbachshof wäre nicht leer. Sonst war er ein Zufluchtsort, itzt muß ich in die Feuerkugel fliehen, und, das weißt du, da war ich nie recht zu Hause.
[128] d. 3 Nov. Morgends.
Ich hoffe heute auf einen Brief von dir, und da hab ich ihn. Es ist gut daß du wohl bist, und so nah am Himmel. Aber mir ist angst, vor dem Blute des Knaben, es giebt angebohrene Härten, die keine Erziehung keine Güte erweicht; doch so eine Frau könnte einen Teufel zum Engel umschmelzen, von ihr unterstürtzt kannst du alles hoffen. Ich möchte nicht Fürst seyn; er muß sich doch manchmal schämen wenn er seine Gemahlinn bedächtig ansieht, und sich ein paar Jahre zurückerinnert. »O möchte ich doch nie aus deinen Armen gerissen werden, möchte ich doch mein eigner Herr seyn, um jener schröcklichen Verbindung entsagen zu können die durch Interesse und nicht durch Liebe geknüpft ward. O wie hasse ich meine zukünftige Gemahlin, muß mein Herz nicht alles hassen, was mich von Dir entfernt. Sie mag gut seyn, man mag ihr Eigenschafften zuschreiben welche man will, aber sie ist nicht du und in dir nur ist meine Glückseeligkeit. Ich will sie heurahten, ich muß, aber mein Herz soll sie nicht haben, dir soll nichts dieses Herz entreissen, niemand und wenn es ein Engel wäre«. So redete der Fürst noch vor wenigen Jahren, in den Armen seiner Geliebten – hat er nicht so geredet; so nenne mich einen elenden, nichts verstehenden Schulknaben, und hat er das gesagt, so mag ich nicht er seyn um alles. So was, von so einer Frau gesagt zu haben, würde mich toll machen, [129] ich würde mich des Paradieses und meiner Eva unwürdig halten, und mich an den ersten Baum hängen und wenn es der Baum des Lebens wäre.
So was von Claviere fiel mir neulich schon ein, als du schreibst, du könntest keins kriegen, ich wills überlegen. Morgen geh ich zu Breitkopfs, die verschicken immer Claviere, da will ich fragen was so ein Kasten kostet, und wo man ihn am besten machen lässt, und wie manns am besten transportiert. Es gehen doch wohl oft Fuhrleute dahinüber.
Mein zerschmissenes Gesicht hält mich zu Hause, sonst kriegtest du so keinen langen Brief. Ich habe dir noch viel zu sagen, wenn sich's nur nicht so langsam schriebe.
Hr. Langer zeichnet mit auf der Ackademie, es mag ein guter Mann seyn, denn du glaubt's, und hast ihn lieb. Ich weiß nicht ob meine Seele jetzt aller neuen Verbindung geschlossen ist, oder wie's ist, genug er wäre mein Freund nicht. Er hat mir nichts getahn und ich kann ihn nicht leiden. Warum? frage die kleine Fritze, die will ihm auch keine Hand geben, sie weiß so wenig warum als ich. Rahten kann ichs, man liebt den Nachfolger niemals wenn man den Vorfahren geliebt hat; Platzfolge ist immer eine Art von Vertreibung.
Du wirst über meinen Brief lachen, er ist sehr sententiös. Ich kann mir nicht helfen, ich habe viele gute Gedancken, und kann sie nirgends brauchen als [130] gegen dich. Wäre ich Autor, da würde ich sparsamer seyn, um sie ans Publicum dermaleinst verschwenden zu können.
Annette und Horn lassen dich grüssen, sie erwarten beyde Briefe, wer mit mehrerem Rechte, das magst du entscheiden. Erwarte auf den Sonnabend wieder einen von mir, denn dieser ist für den vergangnen. Du wirst mir nicht immer so exackt antworten, ich will dirs verzeihen, bist du einmal mehr eingerichtet; kannst du auch etwas gewisses deßwegen einrichten. Hübschmann der jetzige Tertius der Nickelsschule, schickt dir seinen Seegen nach, und bedauert, daß er dir ihn nicht mitgeben können.