12/3483.

An Sara Wulff

Weimar, den 9. Februar 1797.

Was werden Sie sagen? wertheste Frau, wenn ich Ihnen erzähle, daß zu eben der Zeit, als Ihr freundschaftliches Röllchen auf dem Wege zu mir war, ich ihm entgegenreiste und mich Ihnen näherte. In Leipzig und Dessau hielt ich mich einige Zeit auf, und, wäre nicht die traurige Nachricht von dem Tode des, auch mir so theuren, Königlichen Prinzen eben erschollen, so hätte ich mich wohl verleiten lassen weiter zu gehen, Berlin zu besuchen, mich an den kunstreichen Darstellungen des Carnevals zu ergötzen und aus der großen Masse interessanter Menschen, die sich dort befinden, zu den wenigen Freunden, deren ich mir daselbst schmeicheln kann, vielleicht noch einige zu erwerben. Bey meiner Rückkunft empfing mich [36] Ihre Arbeit doppelt freundlich, sowohl als ein Beweis Ihres in der Ferne fortdauernden Andenkens, als auch als ein Zeugniß Ihrer völlig wieder hergestellten Gesundheit, denn wie wollte man ohne eine glückliche Harmonie seiner Kräfte ein so angenehmes Werk hervorbringen, als dasjenige ist, das Sie freundschaftlich für mich gearbeitet haben. Verzeihen Sie, wenn ich Sie nicht sogleich über dessen Ankunft beruhigte, denn ich wollte nicht einen bloßen Empfangschein überschicken, sondern zugleich noch etwas mehr sagen, und dazu erwartet man denn lange eine Stimmung, die nicht kommt, wenn man sie nicht zu erschaffen weiß. Ihr zweyter Brief bestimmt meine Unentschlossenheit, und ich eile Ihnen für das schöne Geschenk zu danken, das mich so oft an Ihr Andenken, Ihre gute Meinung und Ihr Talent erinnern wird. Wie sehr danke ich Ihnen zugleich für den Antheil, den Sie an meinen Arbeiten nehmen. Da ein Schriftsteller sich muß gefallen lassen, daß so manches wunderlich genug genommen und beurtheilt wird, so findet er sich freylich sehr getröstet, wenn seine Arbeit einmal bey einem gebildeten Individuo als Naturproduct wirkt, und zwar in seiner ganzen Breite und Tiefe. Bald sehen Sie wieder ein episches Gedicht von mir, dem ich eine so gute Aufnahme, auch in Ihrem Zirkel wünsche als die Neigung stark ist, womit ich es angegriffen habe und nun bald zu vollenden hoffe. Grüßen Sie Ihre Freundin, deren [37] ich mich noch recht gut erinnere, und gedenken meiner bei guten und trüben Tagen, in der lebhaften Stadt so wie auf dem stillen Lande.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Sara Wulff. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8511-8