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An Caroline Herder

Nicht um Ihre Meynung zu lencken sondern um Ihnen die meinige vorzulegen, ergreife ich die Feder und erspare dadurch dem guten Knebel die Unannehmlichkeit an einer Sache Theil zu nehmen, in der er sowenig als ich rathen und helfen kann. Mit Ihnen zu sprechen möchte in diesen leidenschaftlichen Augenblicken nicht räthlich seyn; wir werden einander nicht [318] überzeugen. Sie haben mir schon geschrieben was ich nicht lesen sollte ich müßte erwarten zu hören was ich nicht hören darf.

1.) Versprach der Herzog in der Puncktation für die Kosten des Studirens der Kinder und für ihr Unterkommen zu sorgen.

2.) Gaben die Herrschaften den Kindern, was nicht in der Puncktation steht, solange sie im elterlichen Hause waren gewisse bestimmte Zuschüsse.

3.) Da Gottfried auf die Academie ging war es Ihre Pflicht den Herzog davon zu benachrichtigen, um die Bestimmung einer Summe, um terminliche Auszahlung zu ersuchen. Der Herzog konnte sich alsdann erklären und durch Stipendien und sonst sich diese Ausgabe erleichtern.

4.) Dies geschah nicht und ebensowenig ward der Herzog wegen der übrigen Kinder begrüßt, da er doch künftig für sie zu sorgen zugesagt hatte.

5.) Vielmehr schickten Sie Augusten nach der Schweiz, ein Schritt der an sich gut und nothwendig seyn konnte, keineswegs aber jedermanns Beyfall erhielt.

6.) Nunmehr, nach Verlauf einiger Jahre, verlangen Sie eine nicht benannte, aber doch, wie es scheint, nahmhafte Summe auf einmal vom Herzog, um den Ausfall zu decken, oder durch die Entfernung Ihrer Kinder in Ihrer Kasse entstanden seyn mag und behaupten der Herzog sey schuldig Ihnen alles was Ihnen fehlt zu erstatten.

[319] 7.) Die Worte: ich will für die Kosten des Studieren der Kinder und für deren Unterkommen sorgen, können nicht heisen: macht mit und aus euern Kindern was ihr wollt, gebt für sie aus was ihr wollt, macht mir am Ende von drey vier Jahren die Rechnung, ich will jeden Schritt ausser dem väterlicher Hause, jede Art von Aufwand bezahlen, und wie ich die jungen Leute hernach finde sie versorgen. Weder im Gerichtshof der Ehre noch des Gewissens können sie so ausgelegt werden.

8.) Ich wiederhohle und sage: durch die Versäumniß der Anzeige zur rechten Zeit durch Forterhebung der jährlichen Gaben, durch das Verlangen eines Capitals als Anleihe, durch Annahme auserordentlicher Beyhülfen, welche die Herzoginnen, soviel ich weis, in der Zwischenzeit den Kindern gereicht haben, durch völlige Vernachläßigung des Rathes und der Meynung des Herzogs über die Bestimmung Ihrer Kinder, ist die Sache so verwirrt und getrübt worden, daß die Liquidität Ihrer Forderung wohl schwerlich darzustellen seyn möchte.

9.) Der Herzog, ohne sich aufs Vergange einzulassen, bietet Ihnen ganz neuerlich an: die Promotionskosten Gottfriedens zu bezahlen, und Augusten und Adeln sich besonders zu attachiren. Ihre Sache war, nach meiner Einsicht, dieses Anerbieten mit Vertrauen anzunehmen. Das Geld zur Promotion mußte irgendwo herkommen, Augusten konnte nicht schaden[320] einige Zeit in einer Canzley zu arbeiten, jedem Geschäfts-Mann wäre es nütze und in Chursachsen müssen die welche beym Bergwesen angestellt seyn wollen ihren ganzen Cursum iuris machen. Adel, von dem Sie ganz schweigen, hatte in Eisenach den schönsten Raum sich zu belehren und sich zu zeigen und das Beyspiel von baldiger Versorgung junger Leute, die das Glück hatten sich näher um den Herzog zu beschäftigen und sich hervor zu thun, gab beyden Kindern die besten Aussichten.

10.) Hätte man sich dadurch dem Herzog genähert, den alten Faden wieder angeknüpft, so würde eine nochmalige Vorstellung Ihrer gegenwärtiger gedrängten Lage und ein bescheidnes Gesuch wegen des Vergangnen am Platze gewesen seyn und, wie ich den Herzog kenne keine ungünstige Aufnahme gefunden haben.

11.) Anstatt dessen lehnen Sie, aufs eiligste, mit einer Gleichgiltigkeit die an Verachtung gränzt jenes bedeutende Anerbieten ab, bringen Augusten ohne weiters auf die Academie, um eine, auf den Schweizerbergen angefangne Spielerey, unter dem Titel von Mineralogie und Naturgeschichte, fortzusetzen, sagen nahe zu: wir wollen weder Euern Rath noch Beystand, weder Aussicht noch Versorgung; wir wissen was wir zu thun haben, wir werden es thun, aber wir wollen euer Geld. Sie Beleidigenden Herzog, die Herzoginn, benachrichtigen mich von Ihren übereilten [321] Schritten und fordern mich unter Vorwürfen und Drohungen auf für Sie und die Ihrigen wircksam zu seyn, in dem Augenblick da Sie mir die Gelegenheit dazu aus den Händen reisen.

12.) Wie ich hiernach Ihre heftigen leidenschaftlichen Ausfälle, Ihren Wahn als wenn Sie im vollkommensten Rechte stünden, Ihre Einbildung als wenn niemand ausser Ihnen Begriff von Ehre, Gefühl von Gewissen habe ansehen muß, das können Sie Sich vielleicht einen Augenblick vorstellen. Ich erlaube Ihnen mich, wie einen andern Theaterbösewicht zu hassen, nur bitte ich mich klar zu deuten und nicht zu glauben, daß ich mich im fünften Ackte bekehren werde.

13.) Soviel von der gegenwärtigen Lage. Durch des Herzogs Anerbieten war Ihre Zukunft zum Theil gedeckt, das Vergange (das wir überhaupt einander nicht vorrechnen wollen) ließ sich durch irgend ein Arrangement ins Gleiche bringen und wir konnten wieder zu einer heitern Aussicht gelangen. Aber der Schaden liegt viel tiefer. Ich bedaure Sie daß Sie Beystand von Menschen suchen müssen die Sie nicht lieben und kaum schätzen, an deren Existenz Sie keine Freude haben und deren Zufriedenheit zu befördern Sie keinen Beruf fühlen. Freylich ist es bequemer in extremen Augenblicken auf Schuldigkeit zu pochen als durch eine Reihe von Leben und Betragen das zu erhalten wofür wir doch einmal danckbar seyn [322] müssen. Glauben Sie doch daß man hinter allen Argumenten Ihrer Forderungen Ihr Gemüth durchsieht. Das soll gewiß gut Blut machen wenn August bey seinem kurzen Hierseyn jedem der es hören will sagt: er wähle das Bergwercksfach weil man nicht wisse wie lange die gegenwärtige Verfassung bestehe und man immer Bergleute brauchen werde. Diese Familiengesinnungen sollen einen Fürsten reizen Kinder heranziehen zu helfen und zu versorgen.

So dencke ich und so werde ich dencken wenn nicht ein Wunder oder eine Kranckheit meine Organe verändert, wie Sie dencken sehe ich aus Ihren Briefen, meine Absicht ist nicht auf Sie zu wircken. Ich werde keine Replick auf dieses Blat lesen und von dem Vergangnen kein Wort mehr sprechen.

Können Sie Sich in Absicht auf die Unterhaltung und Versorgung der Kinder dem Herzog nähern, können Sie wegen der Zukunft und wegen des Vergangnen billige Vorschläge thun, so lassen Sie mich sie durch Knebeln wissen. Ich weiß wohl daß man dem das mögliche nicht danckt von dem man das unmögliche gefordert hat; aber das soll mich nicht abhalten für Sie und die Ihrigen zu thun was ich thun kann.

W. d. 30. O. 95.

G. [323]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1795. An Caroline Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8512-6