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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck

Ew. Wohlgeboren

frühere Schrift: über die Algen des süßen Wassers, habe gern und wiederholt gelesen und mich dadurch mit Ihrer Denkweise bekannt gemacht, welche mit der meinigen ganz nahe verwandt ist. Ich kann daher für das neuste übersendete Werk aufrichtig danken eh ich es noch studirt, und versichern, daß die flüchtigen Blicke die ich darauf geworfen mir einen angenehmen belehrenden Eindruck zurückließen.

Ich bin mit diesen Geschöpfen der Nachtseite, die am Tageslicht microscopisch und dem unbewaffneten Auge entzogen sind, wenig bekannt. Das Gestaltlose willkührlich Scheinende derselben zog mich nicht an, ja [60] die unendliche Menge schreckte mich eher; und doch wird man im Lauf der Naturbetrachtungen oft genöthigt sie einzeln zu bewundern.

Wenn nun Ew. Wohlgeb. diese Geschöpfe geistreich entwickelt, methodisch aufgeführt in einer übersehbaren Folge vorlegen; so werde auch, ich Ihnen sehr viel schuldig. Die Gesetze der Umwandlung und Umgestaltung, die wir anerkennen, erscheinen hier vor- und rückwärts in ihrem elementarsten Wirken, und wenn es eine ahndungsvolle Betrachtung ist, daß der Sonnenstaub, den ein Gewitterregen aus der Atmosphäre niederschlägt, sogleich lebt und belebt, wie der grunelnde Geruch erquicklich andeutet; so ist es anderseits ebenso wichtig zu schauen, wie ein höheres Leben sich nicht sogleich aufgeben kann, ja lieber in geringerer Eigenschaft und Erscheinung fortwirkt, als daß es dem Tode sich entschieden überließe.

Die Tafeln sind so schön, daß man fast zweifeln möchte ob es möglich diese Vollkommenheit der Ausführung allen Exemplaren zu verleihen. Haben Sie vielen Dank für das höchst bedeutende Heft und die Gefälligkeit mir die übrigen nach und nach zu senden, auch von Ihrem weitern Thun und Bemühen von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben. Sollt ich irgend eine Gegengefälligkeit erzeigen können, so bitte mich von Ihren Wünschen zu unterrichten.

Damit ich aber nicht ganz leer vor Ihnen erscheine, sondern Ihre Neigung und Wohlmeynen einigermaaßen [61] erwiedere; so leg' ich ein Gedicht bey aus meinem Divan, von dem Ihnen vielleicht das Morgenblatt einige Nachricht überliefert. Ich bitte es nicht aus den Händen zu geben.

Aufrichtig theilnehmend und nächstens einiges mittheilend

Goethe.

Weimar d. 18. Juni 1816.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8521-4