28/7881.
An Georg Friedrich Creuzer
Ew. Wohlgeboren
bin ich für die übersendeten Hefte den größten Dank schuldig. Sie haben mich genöthigt in eine Region hineinzuschauen, vor der ich mich sonst ängstlich zu hüten pflege. Wir andern Nachpoeten müssen unserer Altvordern, Homers, Hesiods u.a.m., Verlassenschaft als urkanonische Bücher verehren; als vom heiligen Geist Eingegebenen beugen wir uns vor ihnen und unterstehen uns nicht, zu fragen: woher, noch wohin? Einen alten Volksglauben setzen wir gern voraus, doch [266] ist uns die reine charakteristische Personification ohne Hinterhalt und Allegorie Alles werth; was nachher die Priester aus dem Dunklen, die Philosophen in's Helle gethan, dürfen wir nicht beachten. So lautet unser Glaubensbekenntniß.
Gehts nun aber gar noch weiter, und deutet man uns aus dem hellenischen Gott-Menschenkreise nach allen Regionen der Erde, um das Ähnliche dort aufzuweisen, in Worten und Bildern, hier die Frost-Riesen, dort die Feuer-Brahmen; so wird es uns gar zu weh, und wir flüchten wieder nach Ionien, wo dämonische liebende Quellgötter sich begatten und den Homer er zeugen. Demohngeachtet aber kann man dem Reiz nicht widerstehn, den jedes Allweltliche auf Jeden ausüben muß. Ich habe die gewechselten Briefe mit vielem Antheil wiederholt gelesen, wenn aber Sie und Hermann streiten, was macht unser einer als Zuschauer für eine Figur!
Wiederholten Dank also für die Hin- und Hersicht, wenn auch für mich keine Umsicht möglichst ist. Manche bisher Unsichere versteh ich wenigstens besser, und es ist nicht zu läugnen, die Ihnen angeborene Behandlungsart, bey so großem literarischen Reichthum, muß auch dem anziehend seyn, der sich dafür fürchtet.
Der französischen anmuthigen Freundin sprechen Sie meinen Dank aus und lassen mir gelegentlich etwas Näheres von ihr erfahren. Boisserées Krankheit [267] beunruhigt mich sehr. Es ist mir so oft begegnet, jüngere vor mir scheiden zu sehen, daß die Krankheiten der noch in den letzten Jahren mir gegönnten Freunde mich am meisten beunruhigen.
Meinen innigsten vieljährigen Freund und Mitarbeiter, Hofrath Meyer, sehen Sie auch in diesen Tagen und erfreuen sich seiner gewiß. Sein Glaube, daß ein verdrießliches Übel durch vaterländische Luft geheilt werden könne, belebt auch meine Hoffnung, ob mir gleich durch seine Abwesenheit ein unentbehrlicher Wintertrost geraubt wird.
Empfehlen Sie mich aller Orten und Enden und gedenken meiner freundlich in Ihrem edlen Kreise.
Ergebenst
Goethe.