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An Marianne von Willemer

Sie würden gewiß, meine Theuerste, Ihrem liebenswürdigen letzten Brief noch manches Blättchen diese[23] Zeit her, haben folgen lassen, hätten Sie die Ahnung gehabt wie wohlthätig es mir würde gewesen seyn.

Erst der Antheil an dem Unfall unsrer verehrten Frau Großherzogin, die Sorge für ihre Genesung, die fort und fort schwindende Hoffnung sie erhalten zu sehen und zuletzt ihr Scheiden, verdüsterten, seit Ende vorigen Jahrs, Daseyn und Umgebung. Schnee und Kälte drängten uns immer mehr in's Enge und erst jetzt, da sich die Natur wieder aufthut, fühlen wir uns einigermaßen befreyter und, wie man im Frühlinge reiselustig wird, so sendet man wenigstens seine Gedanken dahin wo man eine liebevolle Aufnahme derselben versichert ist.

Sie erhielten in diesen Tagen ein kleines Paquet das Ihnen die angenehmste Pflicht auflegt, im Andenken eines angeeigneten Freundes, mit Pflanzen-Erziehung sich zu beschäftigen. Mögen diese fruchtbaren Blätter viele Wurzeln schlagen und, in reichlichen Keimen entfaltet, von der Freundin selbst, auch vielleicht Freunden mitgetheilt, die Erinnerung an den senden den beleben und erhalten.

Ihre frühere Bekanntschaft mit dem thörig lustigen mannichfaltigen Volksgedränge war mir höchst erfreulich; auch bey uns wirken diese südlichen Scherze seit langen Jahren immerfort dergestalt, daß mein eigenes mit Bildern ausgestattetes Exemplar mir abhanden gekommen. Sollten Sie aber ein gewisses Werk nicht kennen: »Abhandlung über die Comödie aus dem [24] Stegreif und die italiänischen Masken nebst einigen Scenen des römischen Carnevals von Professor Francesco Valentini aus Rom. Mit 20 illuminirten Kupfern. Berlin 1826. bey C. W. Wittig«, so sende solches zu heiterer Unterhaltung. Gern sollte es Ihnen gänzlich als Erb- und Eigenthum überlassen seyn, wenn es meine Familie nicht als einen Hausschatz ansähe, der jederzeit im Anfange des Jahrs seine Zinsen tragen müsse. Auch dießmal wurde das Werklein so lebhaft benutzt daß es dem Buchbinder zu übergeben war um solches zu retten und wieder herzustellen; und in solcher neuen Kleidung steht es zu Diensten.

Einige Auskunft über die Räthsel, welche in meinen kleinen Gedichten und den größern Werken vorkommen, ließe sich anmuthig von Mund zu Mund, aber nicht wohl schriftlich mittheilen. Soviel jedoch würde sich durchaus ergeben, daß irgendwo ein Vorzüglichstes, sowohl der Innigkeit als der Dauer nach, auffallend entgegen träte.

Damit aber die heutige Post nicht versäumt werde

eiligst und treulichst

unwandelbar

Weimar den 19. April 1830.

J. W. v. Goethe. [25]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8584-8