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An Justus Christian von Loder

Nicht ohne Kopfschütteln werden Sie, verehrter Mann, aus meinem Schreiben vom 2. Januar ersehen haben, daß die mir so freundlich gegönnte Mineralien-Sammlung damals noch nicht ausgepackt gewesen; der geneigtest eigenhändig geschriebene Catalog ließ mich den höchst bedeutenden Werth derselben deutlich erkennen, und weil meine vieljährige Erfahrung mich leider genugsam belehrt hatte, was ein übereiltes Auspacken für Verwirrung und Schaden bringt, so sollte zuerst alles darauf vorbereitet werden. Einzelne Kästchen wurden bestellt, Schubladen der nächsten Mineralienschränke geleert, und, da ich seit Wochen nicht aus meinem Zimmer gekommen, alles in demselben zurecht und die Kiste selbst endlich herbeygetragen.

Diese wollte nun schon von außen einer Mineralien-Kiste nicht ähnlich sehen, und da nun gar bey Eröffnung derselben Baumwolle zum Vorschein kam, ferner eine zugeschnallte lederne Umgebung von etwas Bedeutendem, so riefen die Anwesenden einstimmig: hier müsse ein Irrthum obwalten, diese Kiste sey auf eine oder die andere Weise verwechselt.

Das lederne Gehäus wurde geöffnet, und es ist leicht zu denken, was nach gemeldeten Vorspiel der Anblick eines Prachtkästchens für einen Eindruck machte, [173] dessen Eröffnung nicht Mineralien, sondern wahrhafte Juwelen sehen ließ. Klänge dieses auch einigermaßen poetisch und exaltirt, so ist es doch nicht hinreichend, das vergnügte Erstaunen auszudrücken, was jedermann und mich selbst ergriff; und auch Sie, verehrter Freund, werden eine gewisse Zufriedenheit hegen, daß diese vorzügliche und im besten Sinne beabsichtigte Gabe durch diese Folie des Zweifelns und Zauderns wo möglich noch erhöht worden.

Nicht ohne genügende Heiterkeit trug man die bereiteten Schubladen und Kästchen bey Seite, da man, bey sorgfältigem Auspacken, sogleich zu bemerken hatte, daß jedem schätzbaren Exemplar auch schon sein Fach angewiesen, ja demselben, nach abgenommener Hülle, sogar ein weiches Unterlager bereitet war.

Von dem einzelnen Stücke und zuletzt von dem Ganzen, wie es vor Augen lag, wurde man in diese Wissenschaft, der zu nähern ich mich seit einiger Zeit gehütet hatte, gleichsam wider Willen hineingezogen; wo man denn, wie jener Antäus, durch Berührung des Urbodens wieder gestärkt und neu gekräftet wurde. Diese unschätzbaren Crystalle nöthigen sodann zu der Lehre hin, die wir Hauy verdanken; da mir denn ein Schüler von ihm und Biot, Herr Hofrath Soret von Genf, der treuste Führer bleibt, indem diese neue Sprache, mit ihren wundersamen Worten, Ausdrücken, Terminologien, Ausmessungen und Berechnungen in meine späteren Jahre traf, wo man weder solchen [174] Eindrücken mehr offen, noch auch sie festzuhalten im Stande ist.

An diesen Beyspielen jedoch, die, als ein von so werthem Freunde gegönnter Besitz, mir vielfach lieb und werth seyn mußten, fand ich mich wirklich in kurzer Zeit tiefer eingeführt in dieses Feld, als es mir lange Zeit hatte gelingen wollen, und Sie genehmigen gewiß diese Geschichterzählung, welche, so mancherlei sie darstellt, doch die Zufriedenheit und den Genuß, den ich bey wachsenden Tagen an Ihren herrlichen Gaben empfinde, nicht in ganzen Umfange aussprechen kann.

Nun soll man zwar bey einer so bedeutenden Gabe nicht gleich zu einer dankbaren Erwiderung das Nachsinnen hinwenden; aber das Gefühl darf sich den Wunsch nicht versagen, bey irgend einer Gelegenheit etwas, wo nicht in dem Grade, doch wenigstens der herzlichen Eigenschaft nach, dem so freundlich gesinnten Geber anbieten zu können.

Lassen Sie mich nun fernerhin bezeugen, wie angenehm und interessant es mir gewesen, ausführlichen Bericht Ihrer ununterbrochenen Thätigkeit durch die Reihe so vieler Jahre zu erhalten. Zwar bin ich im Allgemeinen diesem Verfolg so vorzüglichen Strebens und Leistens immer nachgegangen; doch ist es höchst erfreulich, mir denselben nunmehr auf eine so authentischen Weise vergegenwärtigt zu sehen.

Wenn ich nun hierüber meine Betrachtungen anstellte, so konnte mir nicht entgehen, welchen großen[175] Einfluß Ihro der verwittweten Kaiserin Majestät auf diese Angelegenheit ausübe. Dieß ist, was mir bey'm Empfang Ihres werthen Schreibens Bewanderung erregte und Freude gab, bald aber darauf in bittern Schmerz verwandelt ward, als die Nachricht von dem Tode dieser außerordentlichen Frau zu uns gelangte, und deshalb Trauer auf Trauer in unserm Kreise sich anhäufte.

Was man auch nun hiebey denken und empfinden mag, so muß man sich zuletzt bey der tröstlichen Überzeugung beruhigen, daß vorzügliche Personen dasjenige, was von ihnen abhängt, immer dergestalt zu führen, zu leiten und einzurichten wissen, daß nicht allein ein günstiger wirksamer Augenblick, sondern zugleich Folge und Dauer sich daraus entwickeln.

Und so darf ich mir denn auch wohl denken, daß die höchst wichtigen, unter Ihre Leitung gegebenen Anstalten sich schon auf den Grad lebendig und gesichert finden, daß die Thätigkeit des verehrten Freun des sich in einer stetigen Folge wirksam erweisen kann.

Gleiche Beruhigung finden wir in unserer Lage, wo wir den höchstseligen Herrn noch immer als gegenwärtig denken dürfen, indem dasjenige, was er begonnen, gefördert, eingeleitet, gegründet, in stetigem Wachsthum und Fortschreiten sich erweist und denenjenigen, die damit beschäftigt sind, an das Unsterbliche der edelsten Wirkung Glauben und Überzeugung verleiht.

[176] Dieses Blatt abzuschließen ward ich durch mancherlei zusammentreffende Umstände gehindert; doch find ich alle Ursache, meinen lebhaftesten Dank aber-und abermals zu wiederholen, indem jederzeit, nach Tische, der mir gegönnte Schatz eröffnet, durchgeschaut und mit den neusten oryktognostischen Schriften verglichen wird. Da ich denn zu bemerken habe, daß von mehreren vor mir liegenden Mineralien gerade der nordische Fundort nicht angegeben oder mit einem Fragzeichen behandelt ist.

Zum Schluß will ich nur noch vermelden, daß ich so eben meine Correspondenz mit Schillern von den Jahren 1794-1805 wahrscheinlich zum Vergnügen und Erbauung damals mitlebender Freunde getrost abdrucken lasse. Wenn Sie, nächst so manchen theuren Namen, auch den Ihrigen, unter guten Auspicien, wieder finden, so gedenken Sie jener Zeit mit Neigung.

Lassen wir es sodann wechselseitig an einem Zeichen nicht fehlen, daß wir immer noch, auf das freundlichste verbunden, dieses Erdenrund betreten.

In solchen Hoffnungen unwandelbar

Weimar den 22. Februar 1829.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Justus Christian von Loder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8588-F