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An Carl Friedrich Zelter

Zum grünen Donnerstag soll dieser Brief abgehen, zur Zeit da du deine großen Thaten verrichtest, welche dir (da an der Ehre weiter gar nichts mehr gelegen ist) in den Geist Freude und Geld in den Beutel bringen sollen. Schreibe mir von dem Erfolg was du gerne willst und magst, so derb als möglich, denn das kleidet euch Berliner doch immer am besten.

[88] In diesen Tagen hast du mir eine große Wohlthat erzeigt, denn das mitternächtige Lied ist mir gar gehörig und freundlich vorgetragen worden, von einem weiblichen, zarten Wesen, so daß es nur der letzten Strophe etwas an Energie fehlte. Da hast du nun einmal wieder deine Liebe und Neigung zu mir recht redlich und tüchtig abstempelt. Mein schwer zu bewegender Sohn war außer sich, und ich fürchte er bittet dich aus Dankbarkeit zu Gevatter.

Ich stehe wieder auf meiner Zinne über dem rauschenden Brückenbogen, die tüchtigen Holzflöße, Stamm an Stamm, in zwey Gelenken, fahren mit Besonnenheit durch und glücklich hinab, Ein Mann versieht das Amt hinreichend, der zweyte ist nur wie zur Gesellschaft.

Die Scheite Brennholz dilettantisiren hinterdrein, einige kommen auch hinab wo Gott will, andere werden in Wirbel umgetrieben, andere interimistisch auf Kies und Sandbank aufgeschoben. Morgen wächst vielleicht das Wasser, hebt sie alle und führt sie Meilen weit zu ihrer Bestimmung, zum Feuerheerd. Du siehst daß ich nicht nöthig habe mich mit den Tagesblättern abzugeben, da die vollkommensten Symbole vor meinen eigenen Augen sich eräugnen.

Soll ich aber aufrichtig seyn so ist diese Ruhe nur scheinbar: denn gerade das musikalische Wesen eurer Charwoche hatte ich lange zu verehren und zu genießen gewünscht und nun schwebt Auge und Geist über das der Scheitholzflöß-Anarchie.

[89] Um mich aber wirklich rein auszusprechen, so tröstet mich's wenn ich dir sage: Bist du recht ehrlich gegen mich gesinnt; so wirst du mich nicht einladen nach Berlin zu kommen – und so fühlt Schultz, Hirt, Schadow und wer mir eigentlich wohl will. Unserm trefflichen Isegrimm, den ich viel zu grüßen bitte, ist es ganz einerley: denn es fände sich nur ein Mensch mehr dem er widersprechen müßte. Von den hundert Hexametern mag ich eben so wenig wissen als von hundert Tagen der letzten Bonapartischen Regierung. Gott behüte mich vor deutscher Rhythmik wie voe französischem Thronwechsel. Dein mitternächtiger Sechsachtel Tact erschöpft alles. Solche Quantitäten und Qualitäten der Töne, solche Mannigfaltigkeit der Bewegung, der Pausen und Athemzüge! Dieses immer Gleiche immer Wechselnde! Da sollen die Herren lange unter einander verständigen, dergleichen bringen sie doch nicht heraus.

Nun vergessen sie immer daß sie und früher, bis zur langen Weile, versicherten: ein Poet sey kein Grammatiker! Homer, Homeriden, Rhapsoden und alle das confuse Geschlecht haben so hin gesaalbadert wie Gott gewollt, bis sie endlich so glücklich gewesen daß man ihr dummes Zeug aufgeschrieben, da denn die Grammatiker sich ihrer erbarmt und es nach zweytausendjährigem Renken und Rücken endlich so weit gebracht, daß außer den Priestern dieser Mysterien[90] niemand mehr von der Sache wisse noch wissen könne. Neulich versicherte mich jemand, Xenophon habe eben so schlechte Prosa geschrieben als ich; welches mir denn zu einigem Troste dienen sollte.

Den Raum zu füllen gedenke ich noch eines Scherzes der mich unterhält. Unsere Mayländer Freunde, die wir durch des Großherzogs Reise gewonnen, Männer von außerordentlichen Bedeutung, Kenntnissen, Thätigkeit und Lebensgewandtheit, welche zu cultiviren ich alle Ursache habe, verstehen kein Deutsch.

Nun lasse ich meinen Aufsatz über's Abendmahl hier in's Französische übersetzen. Durch einen gewandten Franzosen, der als Emigrirter zu uns kam, die Invasionsvisite seiner lieben Landsleute und was draus folgte bey uns ausgehalten hat. Dieß ist ein ganz eigener Spiegel wenn man sich in einer fremden Sprache wieder erblickt. Ich habe mich um die Übersetzung meiner Arbeiten nie bekümmert, diese aber greift in's Leben ein, und so giebt sie mir viel Interesse. Will ich meine deutsche, eigentlich nur sinnlich hingeschriebene Darstellung im Französischen wieder finden; so muß ich hie und da nachhelfen, welches nicht schwer wird, da dem Übersetzer gelungen ist die logische Gelenkheit seiner Sprache zu bethätigen, ohne dem sinnlichen Eindruck Schaden zu thun.

Bin ich dir nun oben mit Erzählung von Stammholz-Floßen lästig geworden, so muß ich zum Schluß[91] doch noch sagen: daß Heute, Gründonnerstag, an deinem Feste, auch in Kösen an der Saale, über Naumburg, der große Holzmarkt gefeiert wird, wo künftige Stadt- und Landgebäude zu hunderten roh auf dem Wasser schweben. Gebe der Baumeister aller Welten ihnen und uns Gedeihen. – Auf der Saal-Zinne in Sturm und Regen

tui amantissimus.

[Jena] am 19. März 1818.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-859A-7