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An Johann Kaspar Lavater

[Mit Frl. v. Klettenberg.

Frankfurt, 20. Mai 1774.]


ER! Der weiter keinen Nahmen braucht, hat mich einst in einer Seeligen Stunde Versicherd, daß Er mir immer viel mehr geben wolte als ich vermuthen könte, unbeschreiblich hat Er bisher sein Versprechen erfült.

Die brüderliche Verbindung und Bekanntschafft mit Lavater ist eins von diesen Geschenke, und ein noch größeres, das nicht ausbleiben kan, wird die Nahmenlose Freude seyn einst aus dieses Bruders Munde die erklärung zu hören: nicht weill du es sagst, sondern weil ich es erfahre Glaube ich daß Gott in Christus ist.

[160] Er wandelt mit Lavater und mit Goethe – ich kenne Ihn am Gang, noch werden Ihre Augen gehalten, daß Sie Ihn nicht erkennen. Aber; ein etwas – ein sanfter Zug – eine Empfindung – die alle Empfindungen übertrifft, so lebhaft diese beyde sonst fühlen können, macht daß sie sich von dem Unbekannten nicht trennen mögen.

Entfernt Er sich manchmal, oder Ihr euch vielmehr von Ihm, so ruft Ihn doch gleich zurück – ruft Ihn auch in Abwege die eben nicht die schönste sind, Er komt doch. Er ist nicht zu zärtlich, auch durch die Hecken zu brechen.

Sie! Lieber Bruder, hier zu seyn, wird ebenfalls eines Seiner die Erwartung übertreffenden Geschenke seyn; Aber Strafe – Plage – und Kummer wäre vor mich jede zärtliche freundschaftliche Verbindung, wann die gewißheit nicht mit verknüpft wäre daß sie Ewig dauern solte – Ja wir werden Ihn und unß bei Ihm ewig schauen erneuet, und viel lebhafter als jezo leben und Lieben.

Goethe besorgt den Schattenriß – dreymahl bin ich gemahl dreymal gezeichnet – und nie getroffen worden, ich will gerne sehen was Sie geliebts Gott diesen Sommer bei Vergleichung des Originals mit dem Schattenriß sagen werden. Vielen herzlichen Danck vor die gedruckte Blätgen. Der! deß Blut der Golgatha auftranck, Seegne Sie mit Seinem besten Seegen – der ist vor mein Herz, der erneuete gefühlvolle Eindruck, daß Er Mensch war, als Mensch sturbe, noch Mensch ist – und ich so gewis seyn werde was und wo Er ist als Er war was und wo ich bin.

Franckfurt am 20. may 1774.

Cordata.


Hier ist ihr Bild das ich gemacht habe, und das ihr gleicht wie eine Schwester der andern. Es ist die Familie, sie selbst ist's nicht.

[161] Im Schattenriss bezeichnet sich diese himmlische Seele noch weniger.

Sie wird dir wenn du kommst mehr seyn als ich, ob sie mir gleich so viel ist als dir; so binn ich doch in meinem schwärmenden Unglauben, der Ich! Und wie ich binn, dein Bruder.

Herkules Geschwäzze ist warrlich nicht mein Gefühl. Es ist nur daß man die Hansen bey der Parrücke zupft und Sachen sagt, die wie Du sprichst, niemand Wort haben will.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1774. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-85AB-1