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An Friedrich Carl von Savigny

Wenn unsre theure Freundin gute Eindrücke von dem kurzen Aufenthalt bey uns mitgenommen, so können wir versichern, daß sie uns deren vielfach zurückgelassen hat. Mir war es höchst erfreulich und tröstlich, ein mehrjährig-geprüftes Wohlwollen in gleichem Sinn und Ausdruck mir zueignen zu können. Lassen Sie uns immer bey Ihnen und in Ihrem lieben Kreise in freundlichem Andenken fortleben.

[120] Mit einem Bezug zu Niebuhry letzter Arbeit verhält es sich folgendermaßen: Den dritten Band seiner Römischen Geschichte erhielt ich glücklicher Weise zu einer Zeit, wo es von mir abhing, mir irgend ein Interesse zu wählen; ich ergab mich daher diesem Werke und zog nach meiner Art viel Vortheil und Auferbauung daraus. Was ich mir zu Nutze gemacht, war mir deutlich, was ich noch ferner zu nutzen wünsche, wohl ebenfalls, und da ich das Ganze als Conversation mit dem Verfasser gelesen und mir ihn möglichst zu vergegenwärtigen gesucht hatte, so wären meine ersten Äußerungen gegen ihn lebhaft und einem Dialog ähnlich geworden. Auch war schon alles mit Heiterkeit im Kopfe zurechte gerichtet, und ich freute mich auf eine unmittelbare Ausführung eines für mich so bedeutenden Geschäftes.

Nun aber versetze man sich in meinem Schmerz, als die unerwartete Nachricht seines Todes mich ereilte. Ich fand mich ganz ohne Hülfe, ohne Rettung; denn nur mit dem Autor selbst konnte ich auf diese Weise sprechen, es konnte kein Dritter seyn. Und wie sollte auch jemand zu eben derselben Zeit sich in das Buch dergestalt versenkt haben? Sogar wenn er auch wäre aufzufinden gewesen, so war es doch auch nur ein Leser wie ich, der, nach dem Maaße seiner Neigung und Erkenntniß, sich dasjenige zugeeignet hatte, was ihn am meisten ansprach. Ich versuchte daher auch nicht einmal eine Zeile auf's Papier zu bringen, verarbeitete [121] das Gelesene eine Zeitlang in mir selbst. Doch fühlte ich bald, daß ich mich ablenken, mein Interesse nach einer andern Seite hinrichten müsse, um die schmerzlichen Gefühle nicht immerfort wieder aufzuregen. So ist denn, außer dem wirklichen Nutzen den ich aus dem Buche gezogen, alles weggeschwunden was durch Mittheilung und gegenseitige Theilnahme eigentlich erst ein anmuthiges Leben im Wissen bewirken sollte.

Diese weitläufige Darstellung nehmen Sie gewiß freundlich auf; sie hatte für mich etwas traulich Tröstliches, indem es mich zugleich schmerzt, nicht ein gründlicheres Zeugniß meiner Theilnahme an einem so nahverwandten Manne ablegen und, indem ich es zu so schönen Zwecken in Ihre Hände gab, auch Ihnen gefällig seyn und ein dauerndes bedeutendes Verhältniß bethätigen zu können.

Und so fortan!

Treulichst

Weimar den 21. October 1831.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Friedrich Carl von Savigny. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-85B1-2