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An Philipp Christoph Kayser

Ich habe nun den ganzen vierten Ackt und wünschte ich könnte Ihnen alles gute sagen was ich darüber dencke. Auch bey dem Schlusse hat Ihnen der gute Geist beygestanden und ich muß mich in Geduld fassen daß ich ihn nicht sobald mit allen Instrumenten hören kann, es wird mir gewiss die grösste Freude seyn wenn er einmal ganz vor meiner Seele erscheinen wird.

Ich sehe schon wie bewegt mein Sommer seyn wird. Der Gedancke den ich letzthin äusserte daß ich Ihnen zu Ende Juni Partitur und Stimmen zurück schicken wollte, trifft mit Ihrem Wunsche zusammen. Vom Juni an werd ich nicht zu Hause seyn und wir können vor der Hand die Abschrifft spaaren. Vielleicht verändern Sie eins und das andre und ich erhalte eine reine Abschrifft oder mein korrigirt Exemplar zurück. Nun aber was diese Veränderungen betrifft, diese müssen Ihre Sache bleiben. Sie verstehen Ihr Handwerck, was soll und kann man Ihnen einreden und Sie meistern, wenn Sie fertig sind, sehen Sie Ihre Arbeit noch einmal an und geben Sie Sich auch noch Rechenschafft vom Ganzen, dann sehen Sie wie ein groses Publikum es aufnimmt.

Der Dichter eines musikalischen Stückes, wie er es dem Componisten hingiebt, muß es ansehn wie [215] einen Sohn oder Zögling den er eines neuen Herren Diensten wiedmet. Es fragt sich nicht mehr was Vater oder Lehrer aus dem Knaben machen wollen sondern wozu ihn sein Gebieter bilden will, glücklich wenn er das Handwerck besser versteht als die ersten Erzieher.

Was ich übrigens an dieser unsrer ersten gemeinsamen Arbeit gelernt habe, wird das zweyte Stück zeigen das ich ausarbeite und auch bey diesem wird wieder zu lernen seyn und so immer weiter.

Was Sie von dem Gange der Oper sagen finde ich sehr gut. Die Momente sollen nicht so rasch wie im andern Schauspiele folgen, der Schritt muß schleichender ia an vielen Orten zurückgehalten seyn. Die Italiäner haben die grösten Effeckte mit einzelnen Situationen gemacht, die nur so zur Noth am allgemeinen Faden des Plans hängen. Man verlangt nicht vom Flecke weil das Ganze nicht interessirt, weil einem an iedem besondern Platze wohl wird. Doch hat auch das seine Unbequemlichkeiten, unter andern ist diese Manier an dem völligen Diskredit des dritten Ackts schuld. Kluge Köpfe der neuern Zeit haben dagegen gearbeitet wie der Verfasser der Filosofi ignoranti und des Re Teodoro pp. Auch davon mag das neue Stück zeugen, und mag uns Gelegenheit geben unsre Begriffe mehr zu entwickeln.

Die Arie: seht die Blässe, wird wohl eine meiner Favoritten werden. Mit dem Duett bin ich gar sehr zufrieden, das Rondeau ist allerliebst pp.

[216] Gewiß ich bin Ihnen recht viel Danck schuldig, an einem glücklichen Ende zweifle ich nicht und wünsche nur eine glückliche Aufführung. Ihre Gedancken über meine Vorschläge das Stück zu producieren erwarte ich und habe noch so tausenderley zu sagen. Wenn nur das Schreiben nicht so eine halbe Sache wäre. Acht Tage Gegenwart würde ein schöner Genuß, ein schöner Vortheil seyn. Hätt ich die Italienische Sprache in meiner Gewalt wie die unglückliche Teutsche, ich lüde Sie gleich zu einer Reise ienseits der Alpen ein und wir wollten gewiß Glück machen. Leben Sie wohl, Sie einziger mir aus meiner Jugend überbliebner, in unglaublicher Stille herangewachsner. Leben Sie wohl.

d. 5. May 86. Ilmenau.

G.


Warum habe ich von dem Terzett nichts gesagt? Was hilft aber alles namentliche hererzählen, auch hab ich es so gut wie gar nicht gehört.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786. An Philipp Christoph Kayser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-85FD-7