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An Johann Gottfried Röderer

[Frankfurt, Herbst 1773.]

So gut ich weis, lieber Freund, daß schweigen besser ist als viel reden, so gesteh ich Ihnen doch gerne, daß ich mir Ihr allerseitiges Stillschweigen nicht ganz vorteilhafft ausgelegen habe. Hr. Wunschold kann Ihnen sagen, daß Ihr Brief mich überrascht hat, ich danke Ihnen für die Bekanntschafft dieses lieben Mannes. Daß Sie in Ihren eiffrigen Bemühungen fortfahren würden, hatte ich keinen Zweifel, und daß Sie in ecclesia pressa die Griechen fortstudiren, das traut ich Ihrem Herzen zu; doch hab ich immer gewünscht zu hören wie und was. Es würde mich aufmuntern, ich würde aufhören so ganz allein zu seyn wie ich hier binn. Wenn ich Ihrer viere hier hätte, nur drey, auch wollt ich noch tiefer herunter zu kapituliren, es sollte viel anders seyn. Denn so wie Deukalion über den fruchtbaaren Boden der unendlichen Erde hinzusäen, und doch eines [119] Geschlechts zu ermangeln – Wenn einem da der Genius nicht aus Steinen und Bäumen Kinder erweckte, man möchte das Leben nicht.

In der Nachbarschafft hab ich einen werthen Freund und das apameibein unsrer tähtigkeit erhält uns beyde.

Die bildenden Künste haben mich nun fast ganz. Was ich lese und treibe tuh ich um ihrentwillen, und lerne täglich mehr, wie viel mehr wehrt es in allem ist, am kleinsten die Hand anlegen und sich bearbeiten, als von der vollkommensten Meisterschafft eines andern kritische Rechenschaft zu geben. Ich habe das in meiner Baukunst und anders wo von Herzen gesagt, und ich weiß daß das Wort, an jungen warmen Seelen, die im Schlamme der Theorien und Literaturen noch nicht verlohren sind fassen wird. Mich freut von Herzen, daß Sie Anteil dran nehmen, wie offt hab ich im Schreiben an Sie alle gedacht denn ich war ganz wieder um den Münster in meiner Wonne. Hier schick ich Ihnen der biblischen Fragen vier Exemplare sie sind hier nicht zu haben und auch 1. Baukunst. Und binn nun weitläuffig genug gewesen über mich, um Sie zu locken und Ihre Freunde, deßgleichen zu tuhn. Grüßen Sie mir sie alle.

Der ihrige

Goethe. [120]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1773. An Johann Gottfried Röderer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8611-F