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An Sulpiz Boisserée

Wenn ich nur irgend eine Möglichkeit sähe, in diesem Spätjahr Weimar zu verlassen und Sie in Ihrer herrlichen Gegend zu besuchen, so würde ich mit meiner Antwort zaudern und die Hindernisse zu beseitigen suchen; aber da ich mir keine Illusion machen kann, und für dießmal an meinen Wohnwort gefesselt bin, so will ich lieber gleich schreiben, wie Sie es wünschen, weil Sie Ihre Einrichtung darnach zu machen haben.

Daß es mir sehr leid gethan, Sie in Carlsbad nicht mehr erwarten zu können, davon werden Sie überzeugt seyn. Denn da ich nicht immer jungen Männern, welche einiges Vertrauen zu mir hegen, ihre gute Meynung erwiedern kann, weil sie auf Wegen wandeln, die zu weit von dem meinigen abführen; so war es mir um desto angenehmer Sie zu finden, dessen allgemeine Richtung mir ganz gemäß ist, und dessen besonders Studium unter diejenigen [142] gehört, welche ich liebe und in denen ich mich sehr gerne durch andere unterrichten mag, da ich sie selbst zu behandeln durch Zeit und Umstände abgehalten worden. Lassen Sie uns daher immer in Verbindung bleiben, und sagen Sie mir von Zeit zu Zeit, wie es Ihnen geht. Vor allen Dingen wünschte ich, daß Sie bey einiger Muße sich die Mühe nähmen, mir die Hauptsumme Ihrer bisherigen Arbeiten, sowie Ihrer nächsten zu recapituliren. Ich habe zwar so ziemlich dasjenige gefaßt, was Sie in Ihrem Kreise theils als Erfahrung theils als Resultat gewonnen haben; allein unser Zusammenseyn war doch zu kurz, als daß ich damit völlig im Reinen seyn könnte. Wollen Sie daher, wie gesagt, mir die Hauptpuncte in Erinnerung bringen, und in Verknüpfung sowohl des Geleisteten als Ihrer Vorsätze mir im Zusammenhange darleben; so sind es auch zu meinem Vorhaben dienlich seyn, wenn ich eine Gelegenheit ergreife, von Ihren Bemühungen öffentlich zu reden, welches ich doch gern gründlich und in Ihrem eigenen Sinne thun möchte.

Ich brauche nicht zu versichern, daß ich zu Ende Septembers wenigstens in Gedanken Sie unter Ihren Traubengeländern besuchen werde. Sollte Herr von Reinhard in Ihre Gegend kommen, so beneide ich Sie doppelt und dreyfach, um die schöne Welt, den schönen Himmel, und die Unterhaltung mit diesem trefflichen Manne.

[143] Mehr sage ich nicht, damit dieser Brief seinen Weg antrete. Ich wünschte recht wohl zu leben, und hoffe recht bald wieder von Ihnen zu hören. Meine Frau grüßt zum allerschönsten. Sie war zur Reise gleich bereit, ja sie hallt schon davon prädulirt; allein leider bin ich nicht mehr so beweglich als sie, und lasse Betrachtungen bey mir vorwalten, die ihr nicht so bedeutend als mir erscheinen können. Ich schließe mit nochmaligen Lebewohl.

Weimar den 8. August 1811.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8620-F