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An Friedrich Müller
Ich enthalte mich, aus mehr als einer Ursache, auf Ihren letzten Brief ausführlich zu antworten. Wahrscheinlich würden wir bey einer Unterredung einig werden, da schriftlich die Standpunkte nicht zusammengerükt noch ihre Parallaxen verglichen werden können. Am sichersten ist es, wir gehen ieder auf seinem Weege fort, und da uns beyden angelegen ist, das ächte zu erkennen und zu thun, so wird die Zeit wohl am besten zwischen uns richten oder vermitteln. Wir werden beyde, ich in der Betrachtung des, was iene große Meister gethan haben, und Sie in der Nacheifferung dieser vorzüglichen Menschen vorrüken. Wie sehr wünsche ich Ihnen dereinst mit dem aufgeklärtesten Urtheil das lebhafteste Lob ertheilen zu können, und wie sehr beneide ich Sie um Ihre Wohnung mitten unter den Meisterstüken, von denen wir in unserm kargen Lande nur durch Tradition eine neblichte [177] Ahndung haben können, also gar weit zurükbleiben müßen.
Schreiben und schicken Sie wenn und was Sie mögen, Sie werden in mir einen immer wachsenden Antheil an der Kunst und dem Künstler finden.
Weimar den 9. August 1781.
Goethe.