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An Carl Friedrich von Reinhard

Wenn man fleißig ausgearbeitete Bücher, vor einigen Hundert Jahren gedruckt, aufschlägt, so kommen uns gewöhnlich mancherley Enkomien rhythmisch[171] entgegen; der Autor getraut sich nicht allein in's Publicum, nur wohl escortirt und empfohlen kann er Muth fassen. In der neuern Zeit wagt man sich kühn und zuversichtlich heraus und überläßt auf gut Glück seine Production dem Wohlwollen oder Mißwollender Beurtheilenden.

Nehmen Sie es in diesem Sinne, theurer verehrter Freund, wenn ich nicht säume, beykommende Nachempfehlungen versprochener Maßen mitzutheilen. Diese geisteich-heiteren, gewissermaßen abstrusen, durchdringenden Worte machen Ihnen gewiß Vergnügen um meinet- und der Sache willen.

Wenn man so alt geworden ist als ich, und in einem so würdigen werthen Unternehmen von den verworrenen Mitlebenden nur widerwillige Hindernisse erfahren hat, muß es höchlich freuen, durch einen so wichtigen Mann die Angelegenheit für die Zukunft sicher zu sehen, denn außer dem hat ein Appell an die Nachwelt immer etwas Tristes.

Von der wundersamen Production und Reproduction der Augenerscheinungen wüßte freylich auch manches zu erzählen. Sehen Sie doch, ob der Frankfurter Buchhandel Ihnen folgendes Werkchen verschaffen kann:

Pukinje, Beyträge zur Kenntniß des Sehens in subjectiver Hinsicht. Prag 1819.

Dieser vorzügliche Mann ergeht sich in den physiologen Erscheinungen und führt sie durch's Psychische[172] zum Geistigen, so daß zuletzt das Sinnliche in's Übersinnliche ausläuft; wohin die Phänomene, denn Sie erwähnen, wohl zu zählen seyn möchten.

Ich bringe in meinem nächsten Stück Naturwissenschaft einen Auszug aus Purkinje bey, mit eingeschalteten eigenen Bemerkungen, mannichfaltig betrachtend und hinweisend.

Neulich bey'm Untersuchen älterer Acten fand ich, zu großer Freude und treulicher Erinnerung, die von Ihnen in's Französische übersetzten Stellen der Farbenlehre. Gerade solche Zeugnisse sind höchst erfreulich rührend, sie geben uns die schöne Gewißheit, daß wir nicht umsonst, nicht ohne Theilnahme trefflicher Menschen gelebt haben.

Übergehen will ich nicht, daß es mir schien, als sey Ihr letzter Brief eröffnet gewesen, sehen Sie doch auch die meinigen an. Eigentlich müßten sich die Neugierigen vor unsern Briefen schämen, wenn sie sehen, daß, mitten in diesen wilden und verrückten Welthändeln, Freundschaft, Liebe und ein höheres Interesse waltet, das noch lange gelten wird, wenn das jetzige leidenschaftliche Treiben längst verklungen ist und nur noch einen mäßigen welthistorischen Antheil aufregen kann.

treulichst

Weimar den 29. März 1821.

Goethe. [173]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-862F-2