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An Charlotte von Stein

Nachdem ich mich schon einige Wochen in Carlsbad befinde, entschließe ich mich, auch Ihnen, verehrte Freundin, zu sagen, daß ich mich ganz leidlich befinde, wenigstens um vieles besser als kurz vor meiner Abreise in Weimar und Jena. Freylich muß bey einer solchen völligen Umkehrung der Lebensweise irgend ein Effect hervorgebracht werden, ob der aber im Ganzen heilsam sey und gute Folgen haben werde, im Ganzen heilsam sey und gute Folgen haben werde, das ist ungewiß, und wir wollen also mit dem Augenblick zufrieden seyn.

Unserm Fürsten bekommt die Cur auch ganz wohl, und Er hat wirklich einiges Zutrauen zu dem Wasser gefaßt, weshalb er wohl länger bleiben wird, als er sich anfangs vorgesetzt hatte. Die Gesellschaft vergrößert sich nach und nach, wodurch aber meine Art[347] zu seyn wenig verändert wird: denn ich lebe nach herkömmlicher Sitte meist allein, und habe wenig Verkehr mit der übrigen Welt.

Einen sehr interessanten Mann habe ich an dem Residenten Reinhard gefunden. Sie werden sich erinnern, daß er früher in Hamburg angestellt war, sich so lange wurde, wo ihn die Russen, bey dem Ausbruch des letzten Kriegs, mit Frau und Kindern gefangen nahmen, über den Dnieper, Bog und Dniester führten und zuletzt wieder los ließen; da er denn durch Polen und Galizien wieder ins westliche Europa unter die Menschen zurückkehrte. Es ist ein sehr tüchtiger, erfahrner, theilnehmender Mann, mit dem ich sehr erfreuliche Unterhaltung habe.

Durch ihn habe ich ein französisches Buch kennen lernen, woraus hiebey ein Auszug folgt, der Ihnen, hoff' ihn unserer Durchlauchtigsten Herzogin mitzutheilen und mich ihr zu Füßen zu legen. Mögen Sie mich Durchlaucht der Prinzeß auf das beste empfehlen und ihr sagen, daß das Stammbuch sich nach und nach versudelt und nicht ganz erfreulich anzusehen.

Ich muß schließen, weil ich bis kurz vor dem Abgang der Post gezaudert habe. Empfehlen Sie mich unserm schlesischen Freunde und lassen mich [348] gelegentlich von sich hören. Meine besten Wünsche begleiten diesen Brief.

Carlsbad den 14. Junius 1807.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8636-0