36/78.

An August von Goethe

Herr von Günderode, in Großherzoglichen Hessischen Militärdiensten, geht nach Weimar und sey dir durch Gegenwärtiges bestens empfohlen; er besucht seine Verwandten, die Seebachs, Ziegefars und so weiter. Bei seiner Frau Mutter war Frau von Groß so lange zeit. Haide und Predari haben mir deine Briefe gebracht. Der teutsche Gil-Blas hätte sein Leben nicht würdiger enden können, es ist würklich recht eigentlich ein vagabundischer Abschluß. Ihr werdet euch bis zu meiner Rückkunft gar wohl behelfen, grüße den Rath und sage ihm, wie wollten die Sache wohl überlegen. Ich habe einen Herrn Deahna kennen lernen, er ist Vatersbruder der guten Räthin, er und seine Frau bestellten sich hierher mit ihrer Tochter, [91] Frau von Geymüller, die in Wien sehr vortheilhaft verheyrathet ist; sie sieht gut aus, ist munter und gekleidet wie niemand hier. Das Nähere, wenn wir wieder zusammen kommen.

Nun aber vermelde das Allerbeste: daß Herr Graf Sternberg gestern angekommen ist und wir schon zwey lange Sitzungen gehalten. In einem eleganten Mineralienschrank liegen die hiesigen Vorkommenheiten in schönster Ordnung, so daß er sich darüber theilnehmend verwunderte. Dabey kommen Stadelmanns Tugenden zur Erscheinung, welcher auch schon ein paar recht hübsche Knaben und Livland, Söhne des Herrn von Firks, zu Schülern gefunden hat. Die Sammlung wird auf Ein Hundert Stücke anwachsen, alles Urgebirg und dessen Ausweichungen, Einlagerungen Einschaltungen und Varietäten. Ein köstlich Stück Holz, woran man acht Jahre ohne die Rinde zählt, nicht in Stein, sondern in Eisen verwandelt, hat mir der Graf mitgebracht, auch sonstige gute Sachen. Er ist höchst unterrichtet, mittheilend, und meine Ansicht von Böhmen erweitert sich stündlich. Wir gedenken einige Excursionen zusammen zu machen; möge uns das Wetter begünstigen! Heute fiel es endlich mit einem starken Gewitterungen herein. Übrigens bemerkt man schon die Abnahme des Tages, worein man sich denn auch finden muß. Grüße Rehbein zum schönsten und danke ihm bestens für sein Schreiben. Auch ich bin überzeugt daß unserem Fürsten [92] dieses Bad sehr wohl bekommen müßte. Der Kreuzbrunnen hat bey der Trockniß diese Jahres eine Stärke, die man bey ihm noch gar nicht kannte; ich bin mit der Wirkung sehr zufrieden; das Baden aber habe ich aufgegeben, weil es mich irre machte. den Prälaten habe ich mit großer Gesellschaft in Töpel besucht; er war freundlich und zuvorkommend wie immer; Küche und Keller sehr gut bestellt. Zugleich habe ich den modernen Religiositäten in Frankreich und Deutschland manche Wunderlichkeiten vernommen. Auch von solchen Seiten ist es gut, daß man sich in der Welt umsieht.

Über die Verlängerungen meines hiesigen Aufenthalts wüßte ich nichts zu sagen; ich werde mich in allem nach Graf Sternberg richten, da der Vortheil, ihn zum Haus- und Tischnachbarn zu haben, gar zu groß und in der Folge ganz nicht zu berechnen ist. Glücklicherweise haben wir eine schöne Sommer-und Herbstzeit vor uns. Hast du Gelegenheit, unserer Frau Großherzogin zu sagen oder wissen zu lassen: daß Graf Sternberg hier ist, so thue es, sie nimmt gewiß aufrichtiges Antheil daran. Auch der Frau Erbgroßherzogin solltest du versuchen einen geziemenden Dank zu bringen: daß sie in dieser neusten Zeit meiner gnädig gedenken wollen.

Beschäftigt habe ich mich immer und alles Begonnene mehr oder weniger gefördert, auch was ich überGabriele zu sagen hatte einstweilen lakonisch [93] zu Papier gebracht. Erwähne dessen nicht gegen die Verfasserin: denn bis ich es zum Druck bringe, dauert es noch eine Weile. Auch konnte es nicht lassen, die böhmische Geschichte von Carl dem vierten an wieder zu lesen. Es ist das traurigste von der Welt; man sollte sie aber auswendig lernen und so wäre man über einen großen Theil der absurden Weltgeschichte beruhigt. Indessen füllt sich der Badeort immer stärker; doch ist der Raum zu groß und man wird sich weniger gewahr. Ich suche freylich die Gelegenheiten nicht auf und fahre meist Abends einige Stunden, da im Haus Pferde und ein bequemer Wagen immer zu haben sind.

Und hiermit sey abgeschlossen. Lebe wohl! Grüße die großen und kleinen Kinder und schreibe von Zeit zu Zeit.

MB. d. 11. Jul. 1822.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8680-8