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An Carl Friedrich Zelter

Und nun noch ein Wort über den vielbesprochenen und noch zu besprechenden Walter Scott'schen Napoleon: Das Werk sey wie es wolle, ich bin ihm [283] Dank schuldig; denn es hat mir über die letzten sechs Wochen des vergangenen Jahres glücklich hinausgeholfen, welches keine Kleinigkeit ist, wenn man die einsamen Abende bedenkt, die unsereiner mit Interesse zubringen will, indessen alles, was nur Leben hat, sich hinzieht nach Theater, Hoffesten, Gesellschaften und Tänzen. Das Werk fand ich sehr bequem als Topik zu gebrauchen, indem ich Capitel nach Capitel beachtete, was ich allenfalls Neues empfing, was mir in die Erinnerung hervorgerufen ward, sodann aber nie vergessenes Selbst-Erlebtes hineinlegte an Ort und Stelle, so daß ich jetzo schon nicht mehr weiß, was ich im Buche fand und was ich hineingetragen habe. Genug mir ist der lange, immer bedeutende und mitunter beschwerliche Zeitraum von 1789 an, wo, nach meiner Rückkunft aus Italien, der revolutionäre Alp mich zu drücken anfing, bis jetzt ganz klar, deutlich und zusammenhängend geworden; ich mag auch die Einzelnheiten dieser Epoche jetzt wieder leiden, weil ich sie in einer gewissen Folge sehe.

Hier hast du also wieder ein Beyspiel meiner egoistischen Leseweise; was ein Buch sey bekümmert mich immer weniger; was es mir bringt, was es in mir aufregt, das ist die Hauptsache. Du machst es wohl auch nicht viel besser, und ich hindere niemand wie er es halten will.

Daß Walter Scott gesteht: der Engländer thue keinen Schritt, wenn er nicht ein english object vor [284] sich sieht, ist ganz allein viele Bände werth. Selbst in den neusten Tagen sehn wir, daß die Engländer kein rechtes Object in der Schlacht bey Navarin finden können; wir wollen erwarten, wo sich's eigentlich hervorthut.

Unsere theure Frau Erbgroßherzogin ist nun in Berlin angelangt; ich habe sie noch zuletzt gebeten, deine Singakademie nicht zu versäumen, und da man weiß, wie mannichfaltig die Zeit solcher hohen Personen in Anspruch genommen wird, so hab ich Herrn Cammerherrn v. Vitzthum gebeten, auch dieses Wunsches eingedenk zu seyn; und da du ohnehin aufwarten und selbst einladen wirst, so hab ich dieses Vorgängige nur vermeiden wollen.

treulichst

W. d. 20. Febr. 1828.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-86B8-A