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An den Freundeskreis in Weimar

Wie viel hätte ich jeden Tag zu sagen, und wie sehr hält mich Anstrengung und Zerstreuung ab ein kluges Wort aufs Papier zu bringen. Dazu kommen noch die frischen Tage, wo es überall besser ist, als in den Zimmern, die ohne Ofen und Camin uns nur zum Schafen oder Misbehagen aufnehmen.

[129] Einige Vorfälle der letzten Woche will ich geschwind erzählen.

Im Pallaste Giustiniani steht eine Minerva die meine ganze Verehrung hat. Wickelmann gedenckt ihrer kaum, wenigstens nicht an der rechten Stelle und ich fühle mich nicht würdig genug über sie etwas zu sagen.

Als mir die Statue besahen uns lang dabey aufhielten, erzählte uns die Frau des Custode: es sey dieses ein ehmals heiliges Bild gewesen und die Inglesi welche von dieser Religion seyn, pflegten es noch zu verehren indem sie ihm die eine Hand küßten, die auch würcklich ganz weis war, da die übrige Statue bräunlich ist. Auch setzte sie hinzu: eine Dame dieser Religion sey vor kurzem da gewesen habe sich auf die Knie niedergeworfen und die Statue angebetet. Sie (die Frau des Custode) habe so eine wunderliche Handlung nicht ohne Lachen ansehen können, und sey zum Saal hinausgelaufen um nicht loszuplatzen. Da ich auch von der Statue nicht weg wollte fragte sie mich: ob ich etwa eine Schöne hätte, die diesem Marmor ähnlich sähe, daß er mich so sehr anzöge. Das gute Weib kannte nur Anbetung und Liebe, aber von der reinen Bewunderung eines herrlichen Werckes, von der brüderlichen Verehrung eines Menschengeistes konnte sie keinen Begriff haben. Wir freuten uns über das englische Frauenzimmer und gingen weg mit der Begier umzukehren und ich werde gewiß bald wieder [130] hingehen. Wollen meine Freunde ein näheres Wort hören; so lesen sie was Winckelmann vomhohen Styl der Grichen sagt. Leiber führt er dort diese Minerva nicht an. Wenn ich aber nicht irre so ist sie von jenem hohen strengen Styl da er in den schönen übergeht, die Knospe indem sie sich öffnet und eben eine Minerva deren Charackter eben dieser Übergang, so wohl ansteht!

Nun von einem Schauspiel andrer Art! Um drey Königs Tage, am Feste des Heils das den Heiden verkündigt worden, waren wir in der Propaganda. Dort ward in Gegenwart dreyer Cardinäle und eines großen Auditorii, erst eine Lateinische Rede gehalten an welchem Orte Maria die drey Magos empfangen, im Stalle? oder wo sonst? dann nach verlesnen einigen lateinischen Gedichten ähnliches Gegenstandes traten bey 30 Seminaristen nach und nach auf und laßen kleine Gedichte jeder in seiner Landessprache. Malabarisch, Epirotisch, Türckisch, Moldauisch, Persisch, Colchisch, Hebräisch, Arabisch, Syrisch, Cophtisch, Saracenisch, Armenisch, Hybernisch, Madagaskarisch, Isländisch, Boisch, Egyptisch, Griechisch, Isaurisch, Aethiopisch pp. und mehrere die ich nicht verstehen konnte. Die Gedichtgen schienen meist im Nationalsylbenmaaße verfaßt, mit der Nationaldeklamation vorgetragen zu werden, denn es kamen barbarische Rhytmen und Töne hervor. Das Griechische klang, wie ein Stern in der Nacht erscheint.

[131] Das Auditorium lachte unbändig über die Fremden Stimmen und so ward auch diese Vorstellung zur Farce.

Die Propaganda selbst, hab ich noch nicht näher beschaut, noch den Monsigr. Porcia der an der Spitze ist besucht. Es ist da manches zu sehen. – Nun noch ein Geschichtgen.

Der verstorbne Cardinal Albani war in einer solchen Festversammlung, wie ich sie oben beschrieben. Einer der Schüler fing in einer fremden Mundart an, gegen die Cardinäle gewendet: gnaja! gnaja! so daß es ohngefähr klang wie canailla! canailla! der Cardinal wendete sich zu seinen Mitbrüdern und sagte: der kennt uns doch!

Wie viel solcher Späße und Geschichtgen hab ich aufgefangen die in der Folge Sie belustigen sollen.

d. 13. Jan. 87.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An den Freundeskreis in Weimar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-86DC-9