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An Siegmund August Wolfgang Herder

[December.]

Deinen Brief, mein lieber Freund, habe ich mit besonderer Zufriedenheit erhalten, da er ein früheres Verhältniß wieder anknüpft, das nun um desto dauerhafter seyn kann, als wir beyde im Leben indeß vorgerückt sind und manches erfahren haben. Wenn wir immer vorsichtig genug wären und uns mit Freunden nur von Einer Seite verbänden, von der sie wirklich mit uns harmoniren, und ihr übriges Wesen weiter nicht in Anspruch nähmen, so würden die Freundschaften weit dauerhafter und ununterbrochner seyn. Gewöhnlich aber ist es ein Jugendfehler, den wir[366] selbst im Alter nicht ablegen, daß wir verlangen, der Freund solle gleichsam ein anderes Ich seyn, solle mit uns nur ein Ganzes ausmachen, worüber wir uns denn eine Zeit lang täuschen, das aber nicht lange dauern kann.

Das sicherste Mittel ein freundschaftliches Verhältniß zu hegen und zu erhalten, finde ich darin, daß man sich wechselweise mittheile, was man thut. Denn die Menschen treffen viel mehr zusammen in dem, was sie thun, als in dem, was sie denken.

Ich danke dir daher, daß du mir hast wollen die Zeichnungen zukommen lassen, die mir von einer so merkwürdigen Erfindung einen Begriff geben. Theile mir von Zeit zu Zeit etwas mit und gieb mir Nachrichten von deinen Fortschritten, und wenn gleich das Fach der Künste, in dem ich arbeite, sehr weit von dem deinigen entfernt ist, so findet sich auch wohl, was dir zur Freude gereicht.

Deine guten Eltern sehe ich selten, denn da dein Vater wenig aus dem Hause geht und ich das meinige auch nicht oft verlasse, so bleiben wir getrennt wie die Häuser selbst. Die Meinigen grüßen dich. August hat sich vorgenommen, auf deinen Gruß dir ehestens zu schreiben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Siegmund August Wolfgang Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-86EF-0