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An Christian Gottlob Voigt

Wenn ich in meinem vorgestrigen Aufsatz den Vorschlag that, daß man beym Weimarischen Theater das Schauspiel von der Oper trennen möchte; so habe ich nur einen Gedanken, einen Wunsch geäußert, den ich schon längst gehegt. Ich erlaube mir, ehe ich unsern besondern Fall ausspreche, einige allgemeine Betrachtungen.

Die Oper ist ihrer Natur nach von dem Schauspiel durchaus unterschieden; sie ist es auch bey den Nationen geblieben, die, indem sie etwas Vollkommnes Auffallendes auf ihrem Theater sehen wollen, die verschiedenen Arten der Kunstwerke auf strengste sondern. In Deutschland ist die Oper nach und nach und man möchte sagen zufällig mit dem Schauspiel verknüpft worden. Um nicht allzuweit vorwärts zu gehen, so bringe ich in Erinnerung, daß vor vierzig bis funfzig Jahren die Oper: der Teufel los, zuerst große Sensation erregte, worauf die Hillerschen Opern folgten, bey denen es gar keine Sänger brauchte, um sie ganz leidlich vorzutragen. Die Französischen kleinen Operetten, das Milchmädchen und dgl., kamen in südlichen Deutschland zuerst auf die Bühne durch Marchand, einen Director, der selbst leidlich sang und sich mit Versemachen abgab. Hier hatte die Epoche der Handwerksopern ihren Anfang; die Schmiede, [255] Böttcher, Töpfer erschienen hintereinander; die Action des gemeinsten Schauspiels ward durch Musik und Tact etwas veredelt; die ersten schmucklosen italiänischen Opern: das gute Mädchen, Robert und Caliste, die eingebildeten Philosophen, schlossen sich an und die Directoren fanden es sehr bequem mit sehr wenigem Aufwand von Naturell und Talent das Publicum zu unterhalten, ja zu entzücken. Man erinnere sich der Zeit, in welcher ein Ackermann lange auf dem Weimarischen Theater für den ersten Buffo und seine Frau wenigstens als zweyte Sängerinn gelten mußte. Man erinnere sich der Gattin des Director Belluomo, die, mit einer leidlichen Stimme, einem völlig oberdeutschen Dialect und einem unscheinbaren Äußerung, mehrere Jahre die ersten Liebhaberinnen vortrug.

Dieser Art auf eine genügsame Weise sich zu vergnügen, gab Dittersdorf neue Nahrung. Personen aus dem gemeinen Leben, lebhafte Intriguen, allgemein faßlicher Gesang, verschafften seinen auf einem Privat-Theater entstandenen Opern einen allgemeinen Umlauf, und wer in Weimar mag sich nicht gerne des rothen Käppchens erinnern, mit dessen heiterer Erscheinung das jetzige Hoftheater eröffnet wurde.

In einem ganz entgegengesetzten höheren Sinne hatte Mozart durch die Entführung aus dem Serail Epoche gemacht. Diese Oper, noch mehr aber die Zauberflöte, die eigentlich nur den Theatermeistern Mühe machte, wurde unzähligemal wiederholt und[256] beyde brachten das darauf verwendete reichlich ein, weniger die folgenden Zauberopern, die auch nach und nach alle von der Bühne verschwunden sind.

Indessen hatten sich bey Aufführungen solcher Singstücke bessere Stimmen nöthig gemacht, eigentliche Sänger wurden engagiert und je besser sie wurden, je mehr traten sie mit dem Schauspiel außer Verhältniß. Auch unser Theater war glücklich genug manche zu besitzen, bis wir endlich in der letzten Zeit das Singspiel auf einem Gipfel sahen, wo es wohl verdiente eine Anstalt für sich zu heißen. Ich brauche nur einige Aufführungen: der Müllerin, der Camilla, der Wegelagerer zu gedenken, und man wird mich alles andern Beweises überheben.

Indessen hatte aber auch in Rücksicht auf die innere Einrichtung, besonders was Vorbereitung und Problem betrifft, die Oper das Übergewicht über das Schauspiel genommen. Jene braucht ihrer Natur nach mehr Proben als dieses, aber bey uns waren sie ganz außer allem Verhältniß. Man unternahm, es ist wahr, schwere Opern, aber man brachte sie meiner Überzeugung nach viel zu langsam zu Stande, und wenn auch dieß nicht zu ändern gewesen wäre, so wiederholte man eine, endlich mit so viel Mühe und Aufopferung zu Stand gekommene Oper nicht oft genug, nicht einmal so oft, daß das Publicum hätte damit bekannt werden und ihr Geschmack abgewinnen können. Singspiele welche lange gelegen [257] bedurften gleichfalls vieler Proben, und weil es meist solche waren in welchen Chöre und Statisten nöthig sind, so wurden die Schauspieler dabey gleichfalls fatigirt, und es war bey uns zuletzt fast herkömmlich, daß weil der Sonnabend brillant seyn sollte, Montag und Mittwoch vernachlässigt, ja oft dem Zufall überlassen wurden: denn indem man bedeutende Stücke an diesen Tagen nicht gehen wollte, um sie einen Sonnabend zu bringen, wenn die Oper ebenfalls fehlte, indem man Personen, welche zugleich im Schauspiel und in der Oper bedeutend find, des Mittwochs nicht zumuthen konnte eine starke Rolle vorzutragen; so kam in die monatlichen, ja wöchentlichen Austheilungen, wobey man unmöglich alle und jede wechselseitigen Verhältnisse stets vor Augen haben konnte, ein solches Schwanken, das der Direction höchst verdrießlich seyn mußte und von Hof und Publicum oft genug unangenehm empfunden ward.

Der Vorschlag Schauspiel und Oper zu trennen hat daher den Hauptzweck beyde Gattungen auf sich selbst zu weisen, um jede separat zu ihrer Pflicht an halten zu können. Sobald der Schauspieler ohne Zerstreuung seine Zeit der Erlernung neuer Stücke, der Repetition älterer widmen kann, sobald man festsetzt, daß Sonnabends gewiß Oper seyn werde, so hat der Schauspieler den Donnerstag, Freytag, Sonnabend und Sonntag vor sich, um Montag und Mittwochs ehrenvoll und zur Freude der Zuschauer zu erscheinen.[258] Austheilungen können auf einen Monat gemacht werden und müssen gehalten werden. Von Zeit zu Zeit eintretende Unmöglichkeiten sind von keiner Bedeutung, wenn nur nicht jeden Augenblick die Willkür waltet.

Man bedenke hier vor allen Dingen, daß der Hauptzweck unsers Theaters sey, dreymal die Woche bedeutende, gefällige Vorstellungen zu geben. Darauf muß man losgehen, alles andere sind Nebensachen.

Durch die Trennung des Schauspiels von der Oper kann bey uns dieser Zweck ganz allein erreicht werden. Die Hauptursachen sind oben schon angedeutet; es liegen aber noch andre im Hintergrund, welche sich zu künftiger, vielleicht nur mündlicher Mittheilung qualificieren. Wollte man eine solche Scheidung im Augenblicke streng machen, so würde sich finden, daß das Schauspiel wohl ohne die Oper, die Oper aber nicht ohne das Schauspiel bestehen könnte. Man lasse daher vorerst diejenigen die eigentlich als Schauspieler anzusehen sind, wie Unzelmann und Deny, bey der Oper mitwirken; nur gehe man aufs schärfste zu Rathe, wie die Proben vermindert und das Einstudiren einer Oper beschleunigt werden könne, damit solche Personen nicht mehr als billig von ihrer Obliegenheit beym Schauspiel abgehalten werden.

Das zweyte was einer Trennung entgegen zu stehen scheint, ist, daß man bey Oper und Schauspiel wechselseitig Statisten und respective Choristen gemacht hat. [259] Dieses alte Recht der Directionen die besten Schauspieler und Sänger zu den geringsten Functionen zu beordern, ist für einen Entrepreneur, besonders für einen herumziehenden, von Bedeutung, und man hat sich es bisher bey der Commission, welche in jene Stelle eintrat, ganz wohl gefallen lassen. Untersucht man aber genau wie viel man davon nachgelassen, wie mancher, wo nicht ausdrücklich, doch stillschweigend, wo nicht für immer, doch öfter, dispensirt und freygelassen; so zeigt sich, daß es in der Ausübung keinesweges so viel als man glaubt, relevire.

Das Schauspiel so wie die Oper würden künftig noch immer in sich selbst Statisten machen. Bey der Oper sind die Chorschüler gegenwärtig, und wenn man zu den subalternen Sängerinnen, die anfangs noch bey der Oper mitwirken möchten, einige Mädchen aus der Stadt heranzieht, so würde nichts verloren und viel gewonnen seyn.

Überhaupt müßte es leichter seyn als jemals, sich ein stehendes Chor zu bilden, da durch den Einfluß der großen Berliner Singacademie sich überall Privatgesellschaften bilden, die eine Freude darin finden mehrstimmige Gesänge auszuführen. In Berlin selbst haben sich mehrere solche Privatchöre gebildet, in Halle, Leipzig, Jena, Weimar sind sie auch schon entstanden und es bedürfte bey uns nur ein geringes, um eine solche Neigung weiter zu verbreiten. Noch nie ist ein Zeitpunkt günstiger gewesen als der gegenwärtige.

[260] Es möchte unfreundlich aussehen, wenn ich hier umständlich ausführen wollte, wie vorzüglichere Sänger, wenn man sie zum Chorgesange fordert, zwar erscheinen, um nicht gestraft zu werden, aber kein Laut von sich geben; welches man nicht eben so gut als eine Abwesenheit beweisen konnte.

Daß noch manches bey einer neuen Einrichtung wird zu bedenken, daß noch manches wird zu thun seyn, bis die beyden getrennten Abtheilungen des Theaters sich in sich selbst runden und consolidiren, liegt in der Natur der Sache. Was wegen Lauchstädt zu thun sey, wird gefragt werden, worauf sich aber auch recht gut wird antworten lassen.

Führt man aber die Oper wieder mehr zum Gesang, das Schauspiel mehr zur Recitation und Declamation zurück, entäußert man sich nach und nach alles unnöthigen Prunks und Lärms, so wird die Anstalt nach innen und nach außen gewinnen und die Casse gewiß nichts verlieren. Schon wenn die Montage und Mittwoche bedeutender werden; so muß eine erhöhte Einnahme an diesen Tagen schon manchen Sonnabend-Statisten bezahlen. Es giebt noch andere Vorschläge zu Erhöhung der Einnahme, und gewiß wenn mehr Einheit und Einigkeit in die verschiedenen Gliederungen der neuen Einrichtung gebracht werden, so lassen sich manche faux-frais vermeiden, deswegen mir selbst höchst angenehm ist, daß jemand mit frischem Blick zu den Cassegeschäften hinzutritt.

[261] Ganz unschätzbar aber für den raschern Gang der Geschäfte, für bessere Disciplin und so vieles andere, ist bey der neuen Maßregel, daß die Wöchnerschaft aufgehoben werde. Genast würde allein bey dem Schauspiel, Becker allein bey der Oper angestellt, und man wüßte genau was man von Jedem zu erwarten und zu fordern hätte; und jeder könnte sich mit dem was er leistet, besonders und persönlich, Ehre machen.

So viel zur allgemeinen Einleitung des Vorschlags. Zu weiterer Aufklärung und näherer Bestimmung desselben würde ich unterthänigst bitten, Durchlaucht geruhten auf Unterzeichneten, auf den Hofcammerrath Kirms und den Rath Kruse ein Commissorium zu stellen blos zu dem Zwecke die Sache von allen Seiten durchzudenken und zu bearbeiten, wobey die bekannt gewordenen gnädigsten Intentionen im Auge behalten, und die übrigen Einrichtungen so weit als möglich ins Detail verfolgt würden. Ein Aufsatz deshalb würde baldmöglichst mit unterthänigstem Bericht einzureichen und Serenissimi höchste Entschließung abzuwarten seyn.

Weimar den 9. Decemb. 1808.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8701-D