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An Johann Heinrich Meyer

Meine kleinen Hausgeister sind gestern wieder nach Weimar zurück und ich befinde mich nun wieder allein in meiner Vaterstadt aus einem halbbekannten Boden, denn es hat sich auch seit 5 Jahren hier wieder sehr vieles verändert. Sie sind nun auch wieder an Ihrem Geburtsort und es ist abzuwarten, zu welchem neuen Leben wir nun beyde nächstens wieder ausgehen werden. Auf der kurzen Reise von Weimar hierher und diese wenigen Tage hier habe ich über die Methode der Beobachtung auf Reisen, über Bemerken und Aufzeichnen manches gedacht. Die Gegenstände der Erfahrung sind so vielfach daß Sie und immer zerstreuen, [225] indem sie uns einzeln in jedem Augenblick anziehen, die Zeit ist kurz und man ist nicht immer aufzumerken fähig. Ich will die Zeit, die ich hier bleibe, ein Schema und eine bequemere Form eines Tagebuches auszudenken suchen und die zweyte Hälfte meiner Reise durch Deutschland bis zu Ihnen durch diese Hülfsmittel zu benutzen suchen, das übrige wird eine gemeinschaftliche Bemühung vollenden.

Ihren lieben Brief vom 26. Juli erhielt ich am achten Tage, die Mittheilung wird nun immer leichter und tröstlicher und es freut mich herzlich aus Ihren Briefen zu sehen, daß wir beym Durchdenken und Durcharbeiten ähnlicher Gegenstände nur immer näher gekommen sind, es wird eine rechte Freude seyn wenn wir unsere Theorien und Erfahrungen in einander verschlingen.

Das Theater habe ich einigemal besucht und zu dessen Beurtheilung mir auch einen methodischen Entwurf gemacht. Indem ich ihn nun nach und nach auszufüllen suche so ist mir erst recht aufgefallen: daß man eigentlich nur von fremden Ländern, wo man mit niemand in Verhälniß steht, eine leidliche Reisebeschreibung schreiben könnte. Über den Ort wo man gewöhnlich sich aufhält, wird niemand wagen etwas zu schreiben, es müßte denn von bloßer Aufzählung der vorhandenen Gegenstände die Rede seyn, eben so geht es mit allem was uns noch einigermaßen nah' ist, man fühlt erst daß es eine Impietät wäre, wenn man auch sein gerechtestes, mäßigstes Urtheil über die Dinge öffentlich aussprechen wollte. Diese Betrachtungen führen auf artige Resultate und zeigen mir den Weg, der zu gehen ist. So vergleiche ich z.B. jetzt das hiesige Theater mit dem Weimarischen, habe ich noch das Stuttgarter gesehen, so läßt sich vielleicht über die drey etwas allgemeines sagen das bedeutend ist und das sich auch allenfalls öffentlich produciren läßt.

Ich wünsche daß Sie sich als ein ächter Schweizer in Ihrer lieben Heimath bald erholen mögen damit ich Sie recht froh und munter antreffe. Antworten Sie mir nicht auf diesen Brief, denn da Ihre Antwort erst in 12 bis 14 Tagen ankommen könnte, so würde sie mich hier kaum mehr antreffen.

Das zum inliegenden Böttigerischen Blatt gehörige Heft bring ich Ihnen mit. Leben Sie recht wohl.

Frankfurt d. 10. August 97.

G. [226]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-870C-8