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An Carl Ludwig von Knebel

Leider kann ich auch heute dasjenige noch nicht überschicken, was ich zu Wielands Andenken gesprochen habe. Der Druck geht langsam und du wirst dich diese Woche noch gedulden müssen. Mein zaudern, das mich abgehalten hat, nach Jena zu gehn, kann ich heute nicht tadeln, da der Schnee unsere Gärten wieder zudeckt. Die Jahrszeit ist noch früh genug, und ich will mich gern die nächsten Monate gedulden, wenn wir nur einen bessern Sommer haben wie vor dem Jahr.

Ein sehr merkwürdiges Werk ist mir zugekommen: die Übersetzung der Ilias von Abbate Monti und zwar die sorgfältig revidirte zweyte Auflage. Die Übersetzung ist in Hendecasyllaben, reimlos, und wenn man sie laut liest, so nöthigt sie einen zu dem Ton und Tactfall der italiänischen Recitative, dergestalt, daß wenn ein gewandter Componist, z.B. Abt Vogler, und ein wohlbegründeter genialer Sänger sich zusammenthäten, so könnten sie, mit weniger Vorbereitung, aus dem Stegreife des Rhapsoden und Sänger des Alterthums vollkommen nachahmen und den Zuhörern einen vollkommenen Genuß gewähren, besonders denen, deren Ohr an den Canto fermo und das damit verwandte Recitativ gewöhnt ist. Diese [295] Lectüre hat mich auf's neue überzeugt, daß alles was wirken soll, sich an ein Vorhandenes anschließen, sich auf irgend etwas Gewohntes gründen müsse.

Wie weit unser sonst verdienstlicher Voßischer Homer noch von der allgemeinen Faßlichkeit absteht, hab ich vor kurzem gesehn, als ich mir von einer jungen Actrice, die gar nicht ungescheidt ist, einige Gesänge der Odyssee vorlesen ließ. Diesem Kindermund wollten gar manche Stellen gar nicht kleiden und doch waren diese Dinge zuerst für Kinder und für das Volk calculirt.

Meine Biographie bedenk ich jetzt täglich und werde ich wieder zu dictiren anfangen, recht ausführliche Schemata aufsetzen und mir eine große Masse Stoff zubereiten. Alsdann geht die Ausführung leichter von Statten. Du hattest mir zugesagt, auch etwas über dein Leben aufzusetzen. Versäum' es nicht, denn ich bedarf mancherley Anregung: denn leider sind mir schon in den nächsten Epochen die Gegenstände nicht so deutlich und mit solchem Detail gegenwärtig wie in den ersten. Die stärkeren Leidenschaften, die uns beunruhigen, hindern uns an der Aufmerksamkeit auf die Außenwelt und die innere Beschäftigung stumpft gegen die äußeren Wirkungen ab; doch wollen wir sehen, wie wir sie auch hier durch allerley Hülfsmittel aufstutzen.

Ich habe diese Tage nur Shakespeare und Tacitus gelesen. Es war mir sehr unerwartet, daß diese [296] beyden Männer sich in gewissem Sinne parallelisiren lassen.

Lebe recht wohl und laß mich hoffen, daß wir die Knospen bald zusammen begrüßen werden.

Weimar den 10. März 1813.

G. [297]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8710-B