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An Christoph Ludwig Friedrich Schulz

Nicht ganz leer wollte ich vor Ihnen, theuerster Freund, erscheinen; hier folgen daher einige Bogen, während meiner Krankheit abgedruckt. Mein Vorsatz, von Ihren mitgetheilten Bemerkungen Gebrauch zu machen, war dadurch vereitelt, und bewahre solche zu [10] Nachträgen, deren Forderung man sich nicht verläugnen kann.

Indessen sind die Hefte durch Freundes Theilnahme vorgeschritten, und ich habe sowohl für Kunst und Alterthum, als für das Wissenschaftliche mehr Manuscript, als ich bedarf und bin wegen des Auslesens beynahe in Verlegenheit. Mögen diese ersten Zeugnisse meiner Wiedererstehung auch Ihnen freundlich willkommen seyn.

Die treffliche Dame ist mein Ergötzen und jedermannes; auch Meyer, nach genauer Untersuchung, rühmt den Restaurator. Wie viel Dank sind wir Ihnen deshalb schuldig, daß Sie uns die Augen über diesen Schatz eröffnen und zugleich dessen Genießbarkeit thätig bewirken wollen.

Über das gefleckte Fellchen, das über der Schulter hängt, haben wir weitere Untersuchung angestellt; wir finden noch drey Beyspiele in Portraiten aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts; fragen Sie doch Herrn Professor Lichtenstein, mit meiner schönsten Empfehlung, ob ihm so kleine Panther bekannt seyen, ohngefähr in der Größe einer mittlern Katze. Ich hege den Gedanken, daß es junge Thiere sind, deren Felle durch venetianischen oder genuesischen Handel in jener Zeit nach Ober-Italien gekommen; man muß sie aber rar gehalten und kostbar geachtet haben, daß die höhern Stände sich damit schmücken mögen.

Der Gedanke, dem Sie Beyfall gaben den Barometerwechsel einer veränderlichen Schwerkraft der Erde[11] zuzuschreiben, erlaubte mir schöne Ableitungen; wir geben nächstens eine graphische Darstellung von Boston bis nach Tepl, von der Meeresfläche bis etwa 2000 Fuß drüber. Die Vergleichung gibt die herrlichsten Ansichten und vindicirt dieses Phänomen ganz dem Erdball. Dem sey, wie ihm wolle und wäre es ein Irrthum, so ist er fruchtbar.

Von vielen andern Dingen hätte ich noch zu sagen, doch mögen sie nach und nach hervortreten soviel aber muß ich melden, daß mein körperliches Befinden mich mit jedem Tage aufnimmt, und daß meine geistige Thätigkeit sich so erweist, daß ich sie eher zurückhalten als antreiben muß; ich bin zu allem weit besser disponirt als in der letzten Zeit vor meinem Übel, das ich herankommen fühlte, ohne zu wissen, wie ihm vorzubeugen.

Nehmen Sie nun das schönste Lebewohl und lassen Sie von Zeit zu Zeit uns in Zeit briefliches Gespräch treten; es muß ja nicht immer ausführlich seyn, und in unterer Lage gibt es doch jederzeit etwas der Mittheilung Würdiges.

Da mir der in diesen Tagen gehoffte Aushängebogen ausgeblieben ist, so laß ich doch Gegenwärtiges abgehen, damit die eingetretne Pause sich nicht noch länger ziehe.

liebend und verehrend

treulichst

Weimar den 10. April 1823.

J. W. v. Goethe. [12]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Christoph Ludwig Friedrich Schulz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8719-A