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An Julius Eduard Hitzig

Auf die von Ew. Wohlgeb. an mich erlassene zutrauliche Anfrage verfehle nicht sogleich das Nothwendige zu vermelden.

Die Familie des gedachten John befindet sich wirklich hier in Weimar, eine Mutter und unverheirathete Schwester. Sein Stiefvater, Herr Geheime Cammerrath Büttner, ist ein bejahrter und würdiger Großherzoglicher Diener, dessen Söhne wohlgerathen und versorgt. Durch mich sollen diese guten Leute nichts von dem vorliegenden Falle erfahren.

[293] Obgedachter John studirte mit meinem Sohne in Jena, dieser empfahl mir seinen Universitätsgenossen wegen schöner Handschrift und vorzüglichen Kenntnissen in alten und neuen Sprachen, und ich konnte die zwey Jahre, die er in meinen Diensten stand, ganz wohl mit ihm zufrieden seyn. Heimliche Untugenden, Neigung zum Trunk, Spiel u.d.g. mußte er geschickt zu verbergen, doch kamen solche mehr zum Vorschein, als er mich zweymal in's Bad begleitete, besonders aber das letzte Mal im Jahr 1813 in Töplitz.

Und seine heimlichen Ausgaben zu decken, hatte er Schulden gemacht, nicht eben auf meinen Namen, aber doch das Zutrauen mißbrauchend, welches ihm das nahe Verhältniß zu mir verschaffte. Ich entließ ihn und habe seit der Zeit nur im Allgemeinen von seiner Anstellung in dem Königreich Sachsen und Preußen vernommen.

Wenn nun Vorstehendes keineswegs zu seiner Empfehlung gereicht, so kann ich dagegen bezeugen, daß ich niemals an ihm eine politische Tendenz bemerkt habe, außer jenem löblichen patriotischen Eifer, welcher damals die deutsche Jugend belebte.

Ich erinnere mich nicht, daß er ein leidenschaftlicher Zeitungsleser gewesen, kann aber für gewiß sagen, daß ich nie eine politische Broschüre in seinen Händen gesehen. Die Bücher, die er mit in's Bad genommen hat, bezogen sich allein auf französische und englische Literatur, deshalb ich ihm Vorwürfe [294] machte, weil ich gewünscht hatte, daß er sich in der Rechtswissenschaft, in der er schon gut gegründet, ja bey einem desfallsigen Examen sehr wohl bestanden war, mehr ausbilden sollte.

Eben so kann ich versichern, daß ich in ihm gar keine schriftstellerische Neigung gekannt, ja daß er, wie sich's besonders am Ende ergab, alle Zeit, die ihm meine Geschäfte übrig ließen, zu heimlichem Wohlleben anwandte und in lustigen Gesellschaften vergeudete.

Sollte ihm nun jenes mir selbst unwahrscheinliche Verbrechen nicht erwiesen und er wegen seiner leichtsinnigen Handlung nicht gänzlich verstoßen werden, so würd ich, ob er es gleich nicht um mich verdient, die Vorbitte für ihn einlegen, daß man mit ihm, wiewohl unter strenger Aufsicht, einen nochmaligen Versuch zu seiner Besserung machen möge.

Wie ungern giebt man die Hoffnung auf, so schöne Talente untergehen zu sehen!

Mit vorzüglicher Hochachtung und mit Bitte, mir von dem Ausgang der Sache gefällige Nachricht zu ertheilen, habe die Ehre mich zu unterzeichnen

Ew. Wohlgeb.

ergebenster Diener

Weimar den 18. März 1816.

J. W. v. Goethe. [295]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Julius Eduard Hitzig. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-873D-9