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An Arthur Schopenhauer
Wie oft habe ich Sie, mein Werthester, in diesen Winterabenden hergewünscht, da in dem vorliegenden Falle schriftlich keine Auskunft zu hoffen ist. Ich setze die Farbenlehre zwischen uns in die Mitte als Gegenstand der Unterhaltung und die braucht ja nicht immer einstimmig zu seyn. Doch um Sie nicht ganz, bey so schönem Bemühen, ohne ausgesprochene Theilnahme zu lassen, beschäftigte ich mich zwey Tage in Jena, um soviel als möglich wäre, nachzusehen, [234] was denn seit den letzten acht Jahren im In- und Auslande über die Farben zur Sprache gekommen. Ich wollte darauf meine fernere Unterhaltung mit Ihnen gründen. Dieser löbliche Vorsatz aber brachte die entgegengesetzte Wirkung hervor; denn ich sah nur allzu deutlich, wie die Menschen zwar über die Gegenstände und ihre Erscheinung vollkommen einig seyn können, daß sie aber über Ansicht, Ableitung, Erklärung niemals übereinkommen werden, selbst diejenigen nicht, welche in Principien einig sind, denn die Anwendung entzweyt sie sogleich wieder. Und so sah ich denn auch nur allzu deutlich, daß es ein vergebens Bemühen wäre, uns wechselseitig verständigen zu wollen. Idee und Erfahrung werden in der Mitte nie zusammentreffen, zu vereinigen sind sie nur durch Kunst und That. Mit Ihrem Manuscript und Briefen habe ich mich beschäftigt, die letzten sogar mit eigenen Fingern eingeheftet, weil alles beysammen bleiben muß. Gern hätt ich mir einen Auszug daraus machen lassen, weil dieses aber nur durch einen Sachkundigen geschehen konnte, so hätt ich dadurch das Geheimniß verletzt. Mögen Sie es selbst thun, so würden Sie mir Freude machen, ja ich wünschte die Darstellung Ihrer Ansichten so in's Kurze gezogen, daß ich solche dereinst in die Farbenlehre inseriren könnte.
Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen, womit Sie sich beschäftigen und Sie werden mich immer theilnehmend finden, denn ob ich gleich zu alt bin, mir [235] die Ansichten anderer anzueignen, so mag ich doch sehr gern, insofern es nur immer möglich ist, mich geschichtlich unterrichten, wie sie gedacht haben und wie sie denken.
Lassen Sie mich bald erfahren, daß diese Sendung Ihnen zu Handen gekommen ist.
Mit den aufrichtigsten Wünschen
Weimar den 28. Jänner 1816.
Goethe.