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An Cäcilie Eskeles

[Concept.]

[26. November 1812.]

Ihr Brief, hochgeschätzeste Frau, läßt mich eine Beschämung empfinden, die mir noch peinlicher seyn müßte, wenn ich nicht leider in solchen Fällen schon abgehärtet wäre. Es geht mir wie einem, der auf dem Banquerout stände und noch immer viel zu thun glaubte, wenn er diesen und jenen nächsten Freund abzahlte.

Herr Bernardi, bey dem ich mich tausendmal, eben auch wegen meines Stillschweigens, zu entschuldigen bitte, hat die Güte gehabt, mir das Abscheiden Ihrer theueren Schwester zu melden, das mir so unerwartet war, als ich auf den Verlust der Frau von Eybenberg vorbereitet seyn mußte. Beyde glaube ich genugsam gehabt und geschätzt zu haben und beyde haben mich als ihren Schuldner hinterlassen: denn wem hätte es wohl gelingen können, sich mit ihrer Aufmerksamkeit und thätigen Gefälligkeit in's Gleichgewicht zu setzen?

Die sämmtlichen Meinigen empfinden ebenmäßigen Schmerz bey dem Verlust Ihrer verewigten Schwester; sie haben alle mittel- oder unmittelbar, an mancherley Gutem und Angenehmen Theil genommen, was sie um sich her zu wirken geneigt war, und ich werfe mir mein zauderndes Antworten um so bitter vor, [173] als mein Dank für ihre köstliche Sendung von eignen Handschriften und für die Bekanntschaft mit dem Marquis Beauffort, dem ich mich bestens zu empfehlen bitte, sie nicht mehr erreichen konnte.

Ihren Herrn Gemahl habe ich nur wenige Augenblicke gesehn; aber auch das war schon ein Gewinn für mich. Ich begnüge mich gern mit der Handschrift, dem Bildniß, dem Anschauen, der augenblicklichen Unterredung bedeutender Personen, wenn mir auch nur diese vergönnt ist.

Es hatte derselbe die Gefälligkeit, mir zu sagen, daß ein Packet Bücher von dem Comte de Leu (König von Holland) an mich in Wien angelangt sey, und weiter spedirt werden sollte. Ich habe aber bis jetzt nichts dergleichen empfangen. Vielleicht erhalte ich durch Ihre Güte einige Nachricht von dieser mir so interessanter Sendung.

Der lieben Caroline Pichler danken Sie auf's angelegentlichste daß sie meine Späße so gut aufgenommen hat. Gar gern unterhielt ich mich öfters mit abwesenden Freunden in einer heitern Stunde, wenn ich nicht die Erfahrung hundertmal gemacht hätte, daß ich nichts schwerer transportiren läßt, als der gute Humor. Es ist als wenn die Heiterkeit eines Briefs sich in den Felleisen verflüchtigte und nur ein unerfreuliches caput mortuum in die Hände des Freundes käme. Ich will mich nicht in weitere Betrachtungen verlieren; man weiß nicht, in welcher Stimmung [174] der Brief den Freund antrifft, und die Gegenwart allein hat den Tact für das Schickliche und Angenehme. Verzeihen Sie diese kleine Dissertation; es begegnen mir solche Pedanterieen in Briefen wie im Leben.

Riemer hat sich von mir getrennt. Das Unangenehme, ein neunjähriges Verhältniß aufgelöst zu sehen, wird dadurch gemildert, daß er in einer Station, die ihm gemäß ist, zu der so nothwendigen Selbstständigkeit eingeführt wird. Sein trefflicher Charakter so wie seine vorzüglichen Talente offenbaren sich jetzt in ihrer völligen Schönheit, da er in eigner entschiednen Thätigkeit der Welt Brust und Angesicht bieten muß. Er dankt mit lebhafter Erinnerung und aufrichtiger Theilnahme, daß Sie seiner so freundlich erwähnen wollen.


Nachschrift.

Und warum sollte ich diese leer Seite nicht noch benutzen, um für die freundliche Einladung nach Wien meinen besten Dank auszusprechen. Bey einer solchen Gelegenheit fürwahr, schmerzt mich's, wenn ich mir den Verlust vergegenwärtige, den ich mein ganzes Leben erleide, dadurch, daß ich die große Kaiserstadt niemals gesehen habe. Immerfort und besonders in der neuen Zeit, regt es mich an, daß ich doch endlich meiner Pflicht Genüge thun, meinen hohen Gönnern und werthen Freunden aufwarten und den Besuch abstatten sollte. Aber leider sieht es nicht besser aus als bisher, da mich meine Übel Sommers in den [175] böhmischen Bädern und Winters zu Hause halten. Leider kann ich auch da sehr selten dasjenige leisten, was die Gesellschaft von uns verlangen kann: größere und weitere Verhältnisse machen mir daher immer bange.

Dem vortrefflichen Lämelschen Hause in Prag bin ich diesen Sommer ein großer Schuldner geworden. Dürfte ich bitten mich gelegentlich demselben vielmals zu empfehlen und meine unverbrüchliche Dankbarkeit demselben zu verbürgen.

Nochmals die besten Wünsche für Ihr Wohl.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Cäcilie Eskeles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8746-4