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An Sulpiz Boisserée

Tennstedt den 7. August 1816.

Wunderlich kommt es mir mannigmal vor wenn ich mit Meyern, mitten in Thüringen, in einem kleinen Land- und Badestädtchen auf- und abgehe und von den Vorzügen Ihrer Sammlung spreche, woran wir uns nun schon zusammen ergötzt haben sollten. Da es aber ein Geschehenes ist, welches man immer als eine Gottheit verehren muß; so möge das daraus Erfolgende heilsam werden!

Daß, Ihre Angelegenheit so weit vorrückt und Sie vielleicht, eh noch dieses Blatt zu Ihnen gelangt, schon mit Herrn S. einig sind freut mich sehr. Nach Überzeugungen, wie sie mir seit einem Monat geworden, hätte ich nicht anders rathen können. Mein letzter Entscheidungsgrund ist, wie ich sehe, Ihnen kein Geheimniß und ist auch der Ihrige. Sie hätten noch Jahre lang am Neckar passen können bis etwas, nach Ihrem Sinne, am Niederrhein geschehn wäre. Ja, ich würde mir, nach meiner gegenwärtigen Einsicht, gar kein Gewissen machen das Beste und Brauchbarste von dort nach Berlin zu transportiren.

Zu den neuen Anschaffungen aus Ober- und Nie der-Deutschland wünsche Glück. Es muß Ihnen fortan, da Sie, bey Ihrer Einsicht und Umsicht, nun auch über reichliche Mittel gebieten, möglich werden eine[137] Sammlung zusammen zu stellen, von der man sich, ohngeachtet des glücklichen und reichsten Anfangs, doch keinen Begriff machen kann.

Der Effect meiner Redekünste, wie er auch mir ohngefähr bekannt geworden, freut mich sehr. Da ich von Ihrer, als herrlich anerkannten Sammlung im Comparativ gesprochen, bleibt Freunden und Kennern der Superlativ anheimgestellt. Das mögen die Menschen gar zu gern. Auch ziehe ich, durch diese Mäßigkeit, die Gleichgültigen, ja die Widerstrebenden auf unsre Seite.

Die Frömmler und Dichterlinge mußten befehdet werden: denn ihre doppelt und dreyfachen Pfuschereyen hindern, ja zerstören alles Gute. Im zweyten Stück soll es noch besser kommen, an welchem ich, die vierzehn Tage meines hiesigen Aufenthaltes, arbeite.

Das Rochusfest 1814, von dem ich mich immer wegdrückte, ist so gut als fertig. Ich darf eine heitere Wirkung hoffen. Auch ist Meister Hämmling schon schematisirt und die nächstfolgenden Meister auf meine Weise durchgedacht. Und so hoffe ich noch gar viel zu fördern in diesem, zwar heerdereichen aber menschenstillen Aufenthalt, da ich den August-Monat noch hier zu bleiben gedenke. Jeden Abend wandle im Angesichte des Ettersbergs, denn der Ort liegt nur acht Stunden von Weimar, und sieht gegen die Westseite des genannten Gebirgsrücken. Auf eure herrlichen Gegenden habe für dießmal Verzicht gethan. Schreiben [138] Sie mir nur gerade hieher, so erhalte ich die Briefe sehr bald, es ist eine belebte Poststation, zwischen Leipzig und Langensalza. Setzen Sie nur auf den Brief über Erfurt. Grüßen Sie mir die lieben Ihrigen und bleiben meines unverbrüchlichen Antheils gewiß.

Das noch übrige weiße Papier zu benutzen finde ich Gelegenheit: denn ich muß Sie ersuchen, Herren Mohr und Zimmer für das zugedachte Geschenk vorläufig zu danken. Den anzeigenden Brief erhielt ich noch in Weimar, das Packet hoffe ich dort zu finden.

Die thüringischen alten Chroniken liest man hier recht an der Stelle; obgleich es immer schmerzhaft genug ist zu sehen wie das so schöne, über die Maßen frucht- und bewohnbare Land, mehrere Jahrhunderte durch, von Rohheit, Unverstand, Unzulänglichkeit und Verirrung aus das schrecklichste leiden mußte. Freylich giebt die übrige Welt in diesen Epochen auch keinen tröstlichen Anblick.

Hier aber ist der eigentlichste classische Boden grenzenloser Absurditäten jeder Art. Religiöse, revolutionäre, fürstliche, städtische, edelmännische; dahingegen hört man von tüchtigen Menschen meist nur insofern sie zu Grunde gehen.

Und nehmen Sie mit meiner Reisekanzley vorlieb, die noch ziemlich im Werden ist!

Herrn Geh. R. Schinckel empfehlen Sie mich schönstens. Dieser vorzügliche Mann, so wie Zelter,[139] der diese Tage wohl bey Ihnen gewesen, wird den Entschluß nach Berlin zu gehn begünstigen.

Schreiben Sie bald. Sie sollen auch von mir hören. Haben wir doch, da uns die Gegenwart abgeschnitten ist, den unschätzbaren Vortheil brieflicher Mittheilung.

Tausend Lebewohl. Meyer grüßt.

Am 7. Aug. 1816.

G.


Um nicht ungerecht ja unartig zu seyn muß ich hinzufügen: daß ich einige bedeutende, in- und auswärtige Männer hier gefunden habe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-87C1-C