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An den Großherzog Carl August

[Concept.]

[Eger, 12. September 1821.]

Ew. Königliche Hoheit

freundlich-gnädiges Schreiben habe, mit großer Freude, in Eger, wo ich mich seit dem 26. befinde, zu erhalten das Glück gehabt, und ich ermuthige mich am heutigen schönen Tage, was seit dem 17. August begegnet, kürzlich nachzubringen.

Zuvörderst aber bedauere, daß dem Grafen Sternberg, der mich nach Höchst Ihro Schilderung doppelt und dreyfach werth geworden, nicht begegnen können; er ist auf seine Herrschaft, in sein merkwürdiges Kohlenreich dießmal nicht gekommen, wäre er daselbst angelangt, so würden die verdorbensten Wege mich nicht abgehalten haben, ihm aufzuwarten.

Denn am 20. August erst ließ endlich die sonne sich am heiteren Himmel sehen, und ich benutzte ein paar schöne Tage, mir von Gebirgshöhen herab eine Übersicht des sich flach ausdehnenden Pilsner Kreises zu verschaffen, sodann aber den Prälaten zu besuchen, [77] der in einem weitläufigen, regelmäßig gebauten und reinlich gehaltenen, von Alters her wohlverzierten und auf's neue höchst lustig ausgemahlte Stiftspalaste, mit seiner weiß gekleideten Schaar munter und gastfrey hauset. Die eigenen Verhältnisse, gegen das Staats- und Kirchen-Ganze, wurden mir abermals um etwas deutlicher. Es ist ein sonderbares Geflechte von Zuständen, daß man in seiner Eigenthümlichkeit erst nach und nach kennen lernt.

Nun aber sey es mir vergönnt, Ew. Königlichen Hoheit zu der schönen, weiten, genuß- und lehrreichen Fahrt Glück zu wünschen, in der Hoffnung bey meiner Rückkehr manches davon zu vernehmen und mitzugenießen. Was die beiden merkwürdigen erhobenen Bilder betrifft, so wüßte ich auch nicht einmal eine Vermuthung deshalb auszusprechen, weil mir ähnliches niemals bekannt geworden; doch sollte denken, Rath Vulpius würde, bey seinen ausgebreiteten Kenntnissen, auch hier nachkommen können.

Den Mangel, den ich erlitten, daß mir Graf Sternberg nicht bekannt geworden, schien mir ein gutes Glück vergüten zu wollen, da ich, wiederholte Einladung des Grafen Auersperg, nicht ablehnen konnte, ihn auf seinem Schlosse Hartenberg, an der Zwotau, von der Carlsbader Straße links dem Gebirg zu, auf einige Tage zu besuchen.

Ein schöner wohlgestalteter Mann, etwa in den fünfzigen, von freyer, heiterer Lebensweise, der dem,[78] Staate seit 25 Jahren in wichtigen Stellen gedient, und nun auf seinem Schlosse, im Mittelpunct seiner Herrschaft, sie selbst verwaltet und seine übrige Zeit dem Studium der böhmischen Geschichte widmet.

Das Schloß aus vielen, succesiv entstandenen Gebäuden, Angebäuden, Höfen und Zwingern bestehend, liegt mitten da, wo drey Thäler zusammenstoßen, auf eine isolirten Felsengruppe, mit dem übrigen Continent nur durch einen künstlichen Damm verbunden, und erinnert einigermaßen an Elbogen. Die Umgebungen von Höhen zu Tiefen und umgekehrt sind durch fahrbare und gehbare Wege gar zierlich verbunden, so daß man ohne Beschwerde, lustwandelnd, ringsum das Schloß gar bequem betrachten kann, um welches uralte Rüsterbäume in die Höhe streben und mit den Fichtenwäldern der Nachbarschaft gar freundlich contrastiren.

Ich lernte da verschiedene Gutsbesitzer und Angestellte aus der Nachbarschaft kennen, von denen ich wieder Einladungen erhielt, denen zu folgen jedoch nicht möglich seyn dürfte, ob sich gleich hierunter bedeutende und an ihrer Stelle bemerkenswerthe Menschen darbieten. Über welche jedoch der Hausherr durch Adel und Natürlichkeit, durch aufrichtige freye Behandlung sich besonders auszeichnet.

Die ersten Tage des Septembers haben nun bey ziemlich leidlicher Witterung in Eger zugebracht und in der Gegend mich nach mancherlei Seiten umgesehn. [79] Auch ist der frühere Zögling Friedrich v. Stein aus Breslau mit seiner Tochter noch bis jetzt in Franzenbrunn, da denn mancher wechselseitiger Besuch unternommen wird.

Überhaupt habe Eger noch niemals so lebendig gesehen. Zu meiner Ankunft, Sonntags den 26, August, feyerte man das Fest des städtischen Schutzpatrons St. Vincenz. Nicht allein die Bürger, sondern auch die zur Stadt gehörigen Dörfer, unter neun Pfarreyen geordnet, ziehen in einzelnen Processionen herein, reihen sich nach dem Hochamte an den Hauptzug, wo die hiesigen Schulkinder, Gymnasiasten, Handwerker, ja der hochedele Rath selbst der vom Dechant getragenen Reliquie vorangehen. Und das alles zusammen nahm sich sehr gut aus auf dem großen Platze bey schönem Wetter. Ferner wohnte ich am 1. einer Schulprüfung, am 5. der Prämienaustheilung bey , da man mir denn die Ehre erzeigte, das erste Prämium dem belobten Jüngling einzuhändigen.

Nun thun sich aber militärische Bewegungen hervor. Die umliegenden Truppen werden zum Herbstmanöver herein beordert, welche, besonders da es Jäger sind, durch die verspätete Ernte in ihren Bewegungen gehindert werden. Indessen aber ergötzt uns die schöne Musik, welche sich des Abends hören läßt, wobey mich ein glücklicher Gedanke sehr ergötzt; ein wunderlicher, nicht ganz erfreulicher Hornruf schließt alle Abend vor der Hauptwache den militärischen[80] Tag. Diesen hat ein geistreicher Componist in ein Musikstück verwoben, so daß man durch dessen Eintritt überrascht und dadurch die Auflösung befriedigt wird.

Damit es aber ja nicht an jeder Thätigkeit fehle, schlägt man sehr emsig die Buden zum Jahrmarkt auf, welcher sich Montag den 10. versammeln wird. Ich sehe dergleichen sehr gern an einen fremden Ort, indem man die allgemeinen Menschenbedürfnisse, so wie die besondern der Gegend, auf einmal vor Augen sieht und kennen lernt. Zwischen diesen sind nicht zu übersehen schon seit einigen tagen fortdauernde Wallfahrer, meistens Weiblichen Geschlechts, mit wenigen Männern, sie kommen einzeln, zu Dutzenden, leicht und reinlich gekleidet, barfuß mit weißen Kopftüchern, zwar partienweis, aber ohne Kreuz und Gesang. Manche tragen, ihren jungfräulichen Stand anzudeuten, Schäferstäbe mit Bändern. Wahrscheinlich sind es einzelne Dorfschaften, die gelegentlich fortziehen, sich nach und nach einholen und endlich am Hauptorte vereinigt die Andacht verrichten.

. . . . . . . . . . . . . . . . freut, der als auf seinen Kernschuß durch die bekannte Vorrichtung der Böller losging und zugleich der Kaiserl. Doppel Adel über der Scheibe hervortrat, ganz in Erstaunen versanck, hinstarrte und die Bühne zu verlassen zauderte.

Einige Fahrten besonders zu geologischen Zwecken sind in die Nachbarschaft unternommen worden, nicht [81] ohne Gewinn. Den Fundort des merkwürdigen Minerals Egeran genannt haben wir auch besucht und das Rebengestein, die Gebirgsart worin er vorkommt höchst bedeutend gefunden. Eine vollständige Reihe ist dem Jenaischen Cabinet zu rechte gelegt.

Polizeirath Grüner ist zu allem diesen gar behülflich. In seinem Amt musterhaft, ergötzt er mich wenn er auf jeder Spazierfahrt Polizey übt.

Als vorstehendes geschrieben war dacht ich Ew. Königl. Hoheit zu melden daß zu einem kurzen Besuch nach Carlsbad zu gehen gedachte. Leider ward mein Vorhaben durch das traurigste über diesen Heilort verhängte Ereigniß gestört. . . . . .

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-87EE-A