[49] 10/3015a.

An Samuel Thomas von Sömmerring

[Concept.]

[Herbst 1793.]

Ich freue mich zu hören, daß Sie mitten unter den Kriegsunruhen fleißig mit studiren und beobachten fortfahren; was können wir in der jetzigen Zeit auch besseres thun, als unserm Gemüth irgend eine interessante [49] nützliche Beschäftigung zu geben, um uns, und wär' es auch nur Stundenweis, dem Einflusse der traurigen Welthändel zu entziehen.

Wie sehr wünschte ich an Ihren Arbeiten gegenwärtig Theil nehmen zu können, und durch Ihren Unterricht einmal einen rechten Schritt in der Wissenschaft zu thun, an deren Gränzen ich immer verweile. Geben Sie mir manchmal einen Wink von Ihren Entdeckungen. Ich habe diese Tage Ihr anatomisches Lehrbuch ganz durchgelesen, und sowohl an den Sachen als an der Methode sehr viel Freude gehabt. Werden Sie uns das Fehlende nicht auch bald gönnen?

Über den gelben Punkt im Auge kann ich gegenwärtig noch weiter nichts denken, als daß ich für sehr merkwürdig halte, daß uns durch denselben eine Mitte des Augbodens, wenn ich mich so ausdrücken darf, gezeigt wird, da die schief eingehende Nerven sonst immer einige Hinderniß war, uns die Repräsentation der Bilder im Auge auf eine zu denken.

Was die gelbe Farbe desselben betrifft, darüber wag' ich auch nichts zu sagen, doch scheint die Farbe, wo sie auch angetroffen wird, immer auf etwas wirkendes zu deuten.

Eine Abschrift der Abhandlung von den farbige Schatten sollen Sie haben, allein sie wird in einer ganz andern Gestalt erscheinen, wenn erst die Versuche von den seltsamen Spectris, die Ihnen so interessant geworden sind, recht vollständig aufgestellt seyn werden.

[50] Darwin hat viel Gutes und Brauchbares; allein an die Theorie gefesselt kann er nicht vom Flecke. So bald ich diese Versuche zusammengestellt habe, sollen Sie auch diese erhalten. Es ist weit mehr physiologisches bey den Farbenerscheinungen als man denkt, nur ist hier die Schwierigkeit noch größer als in den andern Fällen, das Objective vom Subjectiven zu unterscheiden.

Da Sie nach dem Verhältniß der Phänomene bey Gelegenheit der Refraction fragen, so übersende ich Ihnen hier ein paar Blätter Resultate, die Ihnen gewiß Vergnügen machen werden. Lassen Sie sie niemand sehen, denn es ist zwar noch das letzte Wort des Räthsels, aber doch eins der vorletzten. Sie werden die Versuche leicht und angenehm finden.

Erst wenn alles so aufs Einfachste zurück gebracht ist, wird man der Theorie glücklich zu Leide gehen können, und alsdenn werden Sie sich wundern und freuen, wie sie zerstiebt, und welches weite Feld der Beobachtung und Erforschung alsdann erst eröffnet ist; selbst bis jetzt erhält sie sich nur durch Kunststückchen: so find z.B. in Greens neuer Physik alle Figuren, die sich auf diese Lehre beziehen, völlig falsch; sie sind sämtlich nach der Theorie und keine einzige nach der Erfahrung gezeichnet, eine Methode die schon mehr oder weniger und schon hundert Jahre in diesem Falle beobachtet wird.

So hat auch Green im physischen Journal sich [51] unsägliche Mühe gegeben zu zeigen, daß die von mir in den optischen Beyträgen aufgestellten Versuche schon durch Neuton erklärt seyen; es hätte weit weniger Mühe bedurft zu zeigen, daß jene Erklärung ganz und gar nicht passe.

Neulich ist der wunderliche Wünsch zu Königsberg, der aber nach seiner Art auf eine sehr scharfsinnige Weise einen andern Irrthum vertheidigt, so ehrlich und keck gewesen, zu dieser berühmten Erklärung zu sagen: wer es begreifen kann, der begreife es! Doch von allen diesem werden Sie künftig im Zusammenhange noch genug zu hören haben. Entziehen Sie dieser Sache und dem was Sie sonst vornehmen nicht Ihre Aufmerksamkeit; ich hoffe, daß Sie als Physiolog

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1793. An Samuel Thomas von Sömmerring. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-87F0-2